
Im Moment ist das Getreide aus der Ukraine und aus Russland in aller Munde. Beide Länder sind der Brotkorb für viele andere, gerade auch für jene, die nicht zu den begüterten gehören. Wir alle befürchten, dass die Bevölkerungen dieser Länder wegen zukünftiger Hungerkrisen zu weiteren Opfern dieses sinnlosen Krieges werden könnten. Doch ausser dem Krieg gibt es noch andere Ursachen für den irrwitzigen Anstieg der Getreidepreise. Wir halten Lebensmittel für selbstverständlich. Und: Es gibt Profiteure, die im Westen sitzen.
In einer Pressekonferenz von iPES Food letzten Monat haben sich Experten unter anderem damit beschäftigt, wer von den steigenden Lebensmittelpreisen profitiert, warum sich arme Länder kaum zu helfen wissen, und was sich ändern müsste, damit wir international ein gerechteres Ernährungssystem haben. Laut iPES Food, einer NGO mit Sitz in Belgien, die von einer Gruppe von Experten im Bereich nachhaltige Nahrungssysteme unterstützt wird, werden weltweit im Moment genügend Nahrungsmittel für alle produziert. Es handelt sich also nicht um eine Krise der Produktion, sondern um eine der Preise von Nahrungsmitteln. Kurz gesagt ist der Hunger in vielen Ländern eine Folge politischer (Fehl-)Entscheidungen und nicht des Nahrungsmittelangebots.
Doch beginnen wir nochmals von vorne…
Das Problem
- Wenn wir von industrieller Getreideproduktion sprechen, dann muss auch die Abhängigkeiten von Kunstdünger und fossilen Energieträgern erwähnt werden. Denn beides fliesst in diese Landwirtschaft ein, etwa für den Betrieb von Bewässerungsanlagen usw. Russland ist einer der Hauptexporteure von Kunstdünger und liefert ebenfalls Öl und Gas. Die Kosten für Kunstdünger und fossile Energie sind ebenfalls gestiegen.
- Drei Cs haben in den letzten Jahren zur Verschärfung des Welthungers beigetragen. Die Zahl unterernährter Menschen ist übrigens seit 2020 noch weiter gestiegen. Grund dafür waren Corona, Climate Change (Klimawandel) und Conflicts. Konflikte wie Bürgerkriege verschlingen Ressourcen in Ländern die bereits arm sind und verhindern, dass Lebensmittel bis zu den Betroffenen gelangen.
- Die armen Länder des Globalen Südens sind zumeist verschuldet. Deren Regierungen neigen dazu, im eigenen Land sogenannte Austeritäts-Politiken durchzusetzen. Wenn diese oft neoliberal geführten Nationen den Gürtel enger schnallen, dann trifft dies zuerst die Ärmsten in der Bevölkerung. Es werden Arbeitsrechte oder das Sozialwesen beschnitten oder Programme zur Förderung der regionalen Landwirtschaft abgeschafft. So geschehen in Brasilien, das unlängst in die Gruppe der von Hunger betroffnen Länder abgerutscht ist, weil jetzt wieder (!) 15% der Bevölkerung bzw. 33 Mio. Menschen an Hunger leiden.
- Die wohlhabenden Länder, der sogenannte Globale Norden, sind nicht bereit, diese Schulden zu erlassen. Weder die Welthandelsorganisation (WTO) noch die G7 scheinen Nägel mit Köpfen machen zu wollen.
- Lebensmittel wie Getreide eignen sich besonders gut für spekulative Geschäfte. Die NGO Lighthouse Reports aus den Niederlanden konnte nach intensiven Recherchen nachweisen, „wie die International Swaps and Derivative Association (ISDA), zu deren Mitgliedern unter anderem Goldman Sachs, BNP Paribas, Blackrock und Citibank gehören, bei der EU-Regulierungsbehörde, der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA), erfolgreich Lobby-Arbeit betrieben hat, um die Positionslimiten für den spekulativen Rohstoffhandel aufzuweichen“.
- In der Presse zirkulieren falsche Narrative oder Halbwahrheiten: Wenn etwa geschrieben wird, dass ein Viertel des Weizens aus der Ukraine nicht exportiert werden kann, dann müsste genauer recherchiert werden: Ist dieser Weizen überhaupt für Menschen (und nicht als Futtermittel) gedacht? Und hätten bedürftige Länder aktuell überhaupt die Kaufkraft, um das Getreide zu erwerben?
- Diese Liste ist nicht abschliessend…
Die Lösungen
- Kontinente wie Afrika oder Südamerika sollten mehr Druck auf die EU oder die USA ausüben, um einen Schuldenerlass zu erwirken. Erst dann können sie aus der aktuellen Abwärtsspirale rauskommen.
- Der Globale Süden selbst müsste sich vermehrt dafür interessieren, was ihre Bauern brauchen, jene die für regionale Nahrungssicherheit sorgen und nicht für Food Multis arbeiten, die diese Lebensmittel an der Börse handeln. Ihr Recht am eigenen Saatgut muss vor dem Zugriff der Konzerne geschützt werden.
- Sie müssen entsprechende Landwirtschaftspolitiken erlassen. In diesen Ländern müssten auch mehr Strassen gebaut und unterhalten werden, um die Versorgung aufrecht erhalten werden kann.
- Diese Länder sollten nicht von internationaler Hungerhilfe abhängig werden und auch die Landwirtschaft nicht einfach nur subventionieren, sondern es mittel- und langfristig ihren BürgerInnen ermöglichen, einen existenzsichernden Lohn zu generieren.
- Für den Handel mit Lebensmitteln an der Börse müsste von den einzelnen Händlern der Beweis erbracht werden, dass sie keine spekulativen Praktiken angewandt haben (ein Bring- und nicht eine Hol-Schuld der Behörden müsste etabliert werden).
Und was können wir für einen verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmittelproduktion tun?
Wir im Globalen Norden zahlen nur einen Drittel der effektiven Produktionskosten für Nahrungsmittel. Nehmen wir dafür das Beispiel Schweiz: Wir importieren 40 Prozent der Lebensmittel. Schlimmer noch: Wir halten Lebensmittel für selbstverständlich. Weil wir ein vermögendes Land sind, können wir die ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln sicher stellen. Länder des Globalen Südens hingegen exportieren teilweise Lebensmittel, mit der sie ihre eigene Versorgung sicherstellen könnten. Und wir erlauben uns den Luxus, Getreide als Futtermittel anzubauen, um unseren hohen Fleischbedarf zu stillen.
Ich, als Blog-Autorin, und Sie, als Leserin und Leser dieses Beitrags können kaum dazu beitragen, dass verschuldete Länder entschuldet oder dass diese vernünftige demokratische Strukturen aufbauen. Aber als Schweizerinnen und Schweizer können wir vor unserer Haustüre kehren und auf unsere Landwirtschaftspolitiken an der Urne Einfluss nehmen. Und als KonsumentInnen können wir mehr Wert auf gesundes Biogemüse und Obst legen anstatt auf (viel) Fleisch. Die Landwirtschaft wird sich dann auch den Kundenwünschen anpassen. Wir sollten aber auch verantwortungsbewusste internationale UmweltbürgerInnen sein!