Am WEF, am World Economic Forum, hat eine Gruppe von Unternehmerinnen und Aktivisten in den Geschäftsräumlichkeiten der Firma Heierling die Türen zu einem Haus der Balance geöffnet. Während dreier Tage machten verschiedene WEF-Teilnehmerinnen und -teilnehmer einen Abstecher an den Dorfrand von Davos, um dort in einer Reihe von Diskussionen über weibliche Führung zu sprechen.

Denn etwas ist ausser Balance geraten in unserer Welt – und zwar das Weibliche und Männliche, meinten die VeranstalterInnen. Die Menschheit habe parasitäre Formen des Lebens auf unserem Planeten entwickelt anstatt eine symbiotische. Darum brauchen wir ein anderes Wirtschaften und Leben. Die Unternehmen selbst müssten sich grundlegend verändern.

Das „Haus der Balance“ war nach dem Warum, Was und Wie strukturierten. Und um es gleich zu Beginn klarzustellen: Es wurde wenig über Frauenquoten gesprochen. Alle konnten sich auf den integrativen Ansatz einigen, das Weibliche müsste in Mann und Frau gestärkt und in Balance gebracht werden. Männer – wie ein Business Coach, die selbst etliche Jahre im Militär gearbeitet hatte, klar machte – könnten weibliche Managementaufgaben genauso gut wie Frauen übernehmen und eine nährende, achtsame, diverse und teamorientierte Organisationskultur fördern.

Chaotische Welt

Es wird wohl niemand abstreiten wollen, dass nicht nur das Klima ausser Rand und Band geraten ist, sondern auch politische, wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Systeme polarisiert, chaotisch und unübersichtlich geworden sind. Wie viele andere fürchte ich mich angesichts der Bedrohungen und frage mich, was in diesen Zeiten mein Beitrag als Frau und Podcasterin/Bloggerin ist…

Nun, die Antworten, die die Diskussionsteilnehmerinnen und -nehmer bei dieser Nebenschau des WEF hatten, waren vielfältig. Die Frauen und Männer kamen aus verschiedenen Kulturen und Kontinenten, aus unterschiedlichen organisationalen Settings und brachten andere Philosophien und Denkweisen mit. Eine Inderin war beispielsweise der Meinung, das weibliche Prinzip werde in der vedischen Mythologie durch Shakti repräsiert und dieses sei dynamisch und stark, „ohne Shakti gehe gar nichts“. – Aber die Diagnose am Event, das Warum, war stets dieselbe: Das Weibliche, unsere Beziehung zur Natur, zu unserem Körper, zur unserer täglichen Arbeit ist so unter Druck geraten, dass – gelinde gesagt – die gesamte Weltordnung in Schieflage geraten ist.

Wie Balance herstellen

Lassen Sie mich aufzählen, wobei diese Liste nicht abschliessend ist.

Zunächst mal auf der individuellen Ebene:

  • jede/r einzelne kann in jedem Augenblick wahrnehmen, wie es ihm/ihr gerade geht,
  • durchatmen,
  • in sich reinhören („wie geht es meinem Nervensystem gerade?“),
  • sich umsehen („wer ist eigentlich sonst noch im Raum, wie mag es ihm/ihr gerade gehen?“),
  • bin ich im Gespräch in Beziehung mit meinem Gegenüber.

Im Geschäftsumfeld:

  • Das lineare durch ein Denken in komplexen, vernetzten Systemen ersetzen,
  • an Meetings über wesentliche Fragen sprechen wie beispielsweise den Klimawandel, der das eigene Geschäft beeinflusst und beeinflussen wird,
  • neben den CEOs und CFOs auch „Chief happiness officers“ engagieren,
  • Empathie mit sich, andern und der Umwelt auch im Unternehmen Raum geben,
  • den eigenen Kundinnen und Kunden zuhören,
  • mehr Dialog mit Andersdenkenden suchen, auch im Verwaltungsrat,
  • starre Hierarchien abbauen (kein „control and command“ mehr stattdessen Gruppenintelligenz Raum geben).

Auf der ökonomischen Ebene:
International liegt der Prozentsatz für weibliche Führungskräfte noch immer sehr tief. Es gab deshalb auch Ansätze, wie sie ein Impakt Investor vertrat, der indigene Ökonomien wiederbelebt: Er verlange mittlerweile, dass 30 Prozent der Führung eines Start-ups von Frauen besetzt werde, denn diese brächten jene emotionale Intelligenz mit, wie sie in gute Familien trainiert würde. Überhaupt sei die Familie, die wohl erfolgreichste Organisationsform aller Zeiten.

(Aus einer Studie der Universität St. Gallen, die ich vor etlichen Jahren gelesen habe, ging ebenfalls hervor, dass Familien-geführte Unternehmen oft sehr erfolgreich am Markt operieren und dass sie langlebiger als Management-geführte Firmen sind. Der Familienbezug trägt über die Inhabergenerationen hinweg dazu bei, dass zwar konservativ, dafür aber nachhaltig gewirtschaftet werde.

Regeneration, Regeneration, Regeneration

Es wurde viel über Regeneration gesprochen: des eigenen Körpers oder der natürlichen Ressourcen des Planeten. Dafür müsse man nicht in Jammern verfallen, sondern das Weibliche feiern. Denn das Weibliche passe perfekt zur „green economy“, zu erneuerbaren Energien, zur Kreislaufwirtschaft, zu kooperativen Arbeitsformen, die uns in eine balanciertere, nachhaltige Welt führen werden.

 

Ich war früh in meinem Leben Teil der Neuen Frauenbewegung der Schweiz; vieles, was ich gehört habe, war für mich nicht neu. Trotzdem habe ich mich ausserordentlich darüber gefreut, wie selbstverständlich es in der Geschäftswelt geworden ist, über den eigene Körper vor Buchhaltung und Bilanz nachzudenken, die Qualität von Arbeitsbeziehungen im eigenen Team über Hierarchie zu stellen, und die Natur als Vorbild für zirkuläres vernetztes Denken für das eigene geschäftliche Ökosystem zu verstehen.

Einige hundert Meter weiter fand übrigens gleichzeitig eine Veranstaltung zu medizinischen Psychedelika statt und in nur wenigen Wochen gibt es in Davos das „World Biodiversity Forum“, eine grosse internationale Konferenz. Das WEF selbst ist diverser geworden.

About the Author
Seit Dezember 2020 veröffentlicht Claudia Acklin alle drei Wochen eine Episode ihres Podcasts. "Nature and the city - Die Natur und Stadt" beschäftigt sich mit Stadtökologie, Biodiversität und dem Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die Stadtbewohner. - Claudia Acklin studierte Designmanagement, Sozialpädagogik und Journalismus und arbeitete mehr als 12 Jahre als Journalistin und Dokumentarfilmerin. Bis 2015 war sie hauptsächlich im Bildungs- und Forschungsbereich tätig und entwickelte neue Studiengänge wie den BA Design Management, International (DMI) oder eine Forschungsgruppe zu Design Management und Design Innovation an der Hochschule Luzern - Design & Kunst. Sie ist Gründungsmitglied des Vereins "Swiss Design Transfer", einem regionalen Zentrum für Designpromotion und -unterstützung für KMU. Und sie war die Gründerin und erste Geschäftsführerin des Creative Hub, einer Plattform zur Unterstützung von Start-ups im Schweizer Designsektor. Sie hat einen Doktortitel in Design von der Lancaster University/Imagination mit besonderem Schwerpunkt auf Innovation und Designmanagement. Von 2016 bis Mitte 2022 war sie die Leiterin der Geschäftsstelle der ausserparlamentarischen Kommission Schweizerischer Wissenschaftsrat SWR: **************** Since December 2020, Claudia Acklin publishes an episode of a podcast every three week. "Nature and the city" deals with urban ecology, biodiversity and climate change and the implications of the latter for citizens living in cities. - Claudia Acklin studied design management, social pedagogy and journalism; she worked for more than 12 years as a journalist and documentary filmmaker. Until 2015, she has mainly been working in the educational and research field and developed new study programmes such as the BA Design Management, International (DMI) at Lucerne School of Art and Design or a research group on design management and design innovation. She also is a founding member of the association “Swiss Design Transfer”, a regional centre for design promotion and support for SMEs. And she was the founder and first managing director of the Creative Hub, a platform to support start-ups of the Swiss design sector. She holds a PhD in design from Lancaster University/Imagination with a special focus on innovation and design management. From 2016 until mid 2022 she was the head of the secretariat of the extra-parliamentary commission Swiss Science Council SSC.

1 comment on “Haus der Balance

  1. Liebe Claudia
    Du sprichst mir aus dem Herzen mit deinem Artikel über Frau und Mann und Wie wieder Balance herstellen.
    Vielen Dank!

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