
Dieser Titel! Muss man darüber heute wirklich noch schreiben? – Ja, denn die Situation ist nach wie vor unhaltbar. Sowohl das Wohl wie der -schutz der Tiere sind Themen von immenser Grösse und ungelöste Probleme. Wenn ich also zaudere zu schreiben, dann nur darum, weil ein Blog-Beitrag wohl nur wenig Wirkung erzielen kann. Aber es lässt mich angesichts des massenhaften Sterbens von Insekten durch Pflanzengifte, von Kaltwasserfischen in überhitzten Flüssen und Seen oder der Nutztiere in der Massentierhaltung einfach nicht los. Ich kann hier nur weniges aufgreifen und fokussiere deshalb hauptsächlich auf das Tierwohl von Nutztieren – ohne den Anspruch, dass ich eine systematische Übersicht vermitteln kann. Nachdem jedoch die Massentierhaltungs-Initiative vom Schweizer Stimmvolk abgelehnt wurde, muss uns das Wohl und der Schutz der Nutztiere besonders wichtig sein.
Und ich mache hier noch eine weitere Eingrenzung auf die Ebene des Tierrechts. Ich habe dafür mit einer Expertin aus diesem Bereich gesprochen. Wer meinen Podcast regelmässig hört, hat sie unter anderem schon über Wildtiere in der Stadt oder Katzen sprechen hören. Christine Künzli ist rechtswissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stiftung Tier im Recht (TIR) und kennt deshalb die aktuellen Baustellen im Tierrecht genau. Diese liegen vor allem im „Kleingedruckten“. So meint Christine Künzli etwa: „Wenn man in eine Tierschutzverordnung reinschreiben muss, dass man dem Tier Wasser zur Verfügung stellen soll, dann spürt man bereits, dass da etwas nicht stimmt.“
Internationaler Vergleich
Obwohl die Schweiz im internationalen Vergleich über ein gutes Tierschutzgesetz verfügt, ist sie trotzdem nicht das Heidiland, wie viele es gerne glauben möchten. Tiere werden an die Haltungssysteme angepasst und nicht umgekehrt, eingepfercht müsste ich wohl eher schreiben. Um die Bedürfnisse oder gar das Wohlbefinden der Nutztiere geht es selten. Ausser unsäglichem Leid bedroht die Massentierhaltung auch Umwelt und Mensch. Grosse Mengen von Gülle landen auf den Feldern. Damit sickern Nitrate und gar Ammoniak in unser Grundwasser. Und auch die Konsument*innen können eigentlich keine Freude an industriell gefertigtem Fleisch haben: Es kann schlicht nicht gesund sein, Fleisch zu konsumieren, das Wachstums- und Stresshormone von Schlachttieren oder Antibiotika enthält.
Und noch eine letzte Vorbemerkung an dieser Stelle. Wir unterscheiden gerne zwischen Heimtieren, die wir lieben, hegen und pflegen, Wildtieren, für die wir bis auf einige Arten mit notorisch schlechter Reputation wie Raben, Ratten oder Wölfe, Neugier oder gar Begeisterung empfinden. (Man denke hier an den Eisvogel oder niedliche Igelbabys.) Und dann gibt es noch die Nutztiere, die wir allein schon durch diesen Begriff zu einer Gruppe zweiter Klasse degradieren. Ich meine damit die rund 15 Mio. Schweine, Hühner, Schafe, Kaninchen oder Kühe in der Schweiz. Eine ungeheure Zahl. Hier zur Illustration: In der Schweiz regelt eine Höchstbestandesverordnung, wie viele Tiere ein Bauer halten darf. Im Fall von Hühnern liegt der höchste Stand bei 27’000 Tieren pro Betrieb. Da liegt es auf der Hand, dass man dem einzelnen Tier nicht gerecht werden wird. Eine hohe Mortalitätsrate wird von Beginn weg eingeplant.
Aktuelle Brennpunkte
Doch lassen Sie mich versuchen, hier einige Brennpunkte aufzulisten, die aktuell für die Schweiz relevant sind:
- Kuh-Kalb: Kälber werden oft radikal und früh von ihren Müttern getrennt und leben einzeln in sogenannten Iglus. Auch eine Kuh ist keine Maschine, weshalb sollte sie der Verlust ihres Kalbes nicht deprimieren?
- Verstümmelung: Nutztiere werde oft ohne Betäubung beschnitten (Ringelschwänze, Hörner oder Schnäbel).
- Haltung: Krank oder zumindest sehr gestresst werden Nutztiere, weil sie in industriellen Anlagen unter beengten Platzverhältnissen leben. Oft ihr kurzes Leben lang. Schweine dürfen etwa ohne Auslauf gehalten werden und für Hühner fehlen Sitzstangen auf verschiedenen Höhen. Soziale Tiere wie Kaninchen, die gerne beieinander sein würden, leben einzeln in Käfigen. Tiere dürfen ausserdem nicht dauernd angebunden sein. Aber auch hier sitzt der Teufel im Detail. Wie genau definiert man die Freiräume und den Auslauf von Nutztieren.
- Antibiotika: Kranken Tieren werden Antibiotika verabreicht, die ins Grundwasser gelangen und via Trinkwasser bei uns Antibiotika-Resistenzen gegen Krankheitserreger hervorbringen können. Viele Experten und Expertinnen warnen bereits davor, dass hier eine weit gefährlichere Krise am Horizont aufzieht als Corona. Denn werden Bakterien resistent gegen Antibiotika, können wir in Zukunft an zuvor einfach kurierbaren Krankheiten sterben.
- Viehtransporte: Auch hier sind die Tiere oft beengt. Deshalb wird gefordert, dass Viehtransporter gekürzt werden. Weil es in der Schweiz wenig kleine Schlachthöfe gibt, werden die Tiere oft quer durchs Land transportiert und kommen bereits gestresst bei den Schlachthöfen an.
- Schlachtung: Viele Abläufe bei der Schlachtung gehen nicht auf die Würde der Tiere ein.
- Digitalisierung: Grosse Betriebe verfügen heute über digitalisierte Produktionsanlagen zum Beispiel für die Ausgabe von Futter, was die Landwirt-Tier-Beziehung schwächt. Anstatt persönliche Verantwortung haben Industrialisierung, Mechanisierung und Entfremdung Einzug gehalten.
Komplexe, vernetzte Herausforderungen
Diese wenigen Punkte zeigen, dass wir es bei der industriellen Fleischproduktion und Massentierhaltung mit einer komplexen, vernetzten Herausforderung zu tun haben. In meinem aktuellen Verständnis tragen mindestens folgende Aspekte dazu bei:
- Politik: Die Agrarpolitik des Bundes, die das Parlament immer wieder von neuem zementiert, steuert die Landwirtschaft durch finanzielle Anreize (sprich Direktzahlungen) in die falsche Richtung. Wir alle essen hoch subventioniertes Fleisch, das unter oft zweifelhaften Bedingungen produziert wurde.
- Recht: Wir verfügen zwar über ein Tierschutzrecht, das auch die Nutztierhaltung regeln würde, aber viele Detailbestimmungen müssten noch viel stärker und differenzierter auf die Bedürfnisse der Tiere eingehen.
- Umweltbelastung: Wir unterminieren mit der industriellen Fleischproduktion unser Ökosystem. Felder werden überdüngt, Grundwasser und letztlich unser Trinkwasser belastet. Und ich füge hier die Auswirkungen dieser Belastungen auf die Menschen gleich hinzu: Hormone und Antibiotika in Fleisch und Trinkwasser gefährden unsere Gesundheit.
- Fleischkonsum: Ein übermässiger Fleischkonsum kurbelt die Massentierhaltung an und hält die über weite Strecken unnachhaltigste und unwürdigste Form der Landwirtschaft am Leben. Denn in dieser Industrie ist das Tier eine Ware und nur die Vorstufe zu einem Produkt. Auch aus zuvor genannten Gründen drängt sich Zurückhaltung beim Konsum auf.
Verstehen Sie mich nicht falsch…
… Ich verurteile den Fleischkonsum nicht grundsätzlich. Es gibt Tage, wo auch ich Lust auf ein Stück Fleisch habe. Aber können wir nicht zu einer das Tierwohl achtenden Form der Produktion und des Konsums von Fleisch zurückkehren? Ist es Schwärmerei, wenn ich mich daran erinnere, dass jede Kuh im Stall meines Grossvaters in Italien einen Namen hatte („Muca Carolina“)? Gibt es ein Recht darauf, jeden Tag Fleisch essen zu dürfen? Und dies zu durch die Direktzahlungen des Bundes verzerrten, deutlich zu tiefen Preisen? Und wer, wenn nicht die Steuerzahler und -zahlerinnen übernehmen auch noch die Rechnung für verseuchte Böden, Nitrat-haltige Gewässer und qualitativ bedenkliches Trinkwasser? Kurz: Nicht nur unsere Ethik, sondern auch die Volksgesundheit gebietet den fairen Umgang mit Tieren.