
Soziale Medien haben nicht den besten Ruf. Aber ich habe auf meinen Kanälen – selbst auf Facebook – gute Erfahrungen gemacht. Ok, man ist auf FB sicher auch mal polemisch bis aggressiv. Aber in meiner “Bubble”, den Gemeinschaften in den Bereich Gärtnern, Ornithologie, Naturschutz oder Biodiversität treffe ich selten auf sexistische, rassistische oder rechtsradikale Kommentare. Diese Communities tauschen Erfahrungen und Tipps aus. Vorwiegend teilt man die Freude an einer guten Fotografie von (jetzt gerade) spriessenden Pflanzen im eigenen Garten oder einem seltenen Vogel. Das klingt jetzt naiv, ist es aber nicht. Da steckt viel Engagement dahinter. Vor rund zwei Wochen habe ich die Episode zum Smaragdgebiet Oberaargau mit Werner Stirnimann und Adrian Glur veröffentlicht. Der Titel “Natur schützen oder Natur fördern?” hat die unten stehende Diskussion ausgelöst. Ich finde diese Auseinandersetzung spannend und habe einen Auszug daraus hier in anonymisierter Form aufgeführt. Wildnis oder nicht Wildnis? Das ist hier die Frage. Und wenn ja, wie?
A: Wie wäre es, wenn man den Entscheid der Natur überlässt? Denn jeder Schutz und jede Förderung ist nur ein weiterer menschlicher Eingriff.
B: Würde man die Naturschutzgebiete sich selbst überlassen, würde dies zur einer Vergandung/Verwaldung führen. Z.B die an Artenvielfalt reichhaltigen Alpwiesen oder auch Magerwiesen würden ohne menschlichen Eingriff eben verganden. Übrigens ist die Bewirtschaftung von Alpwiesen ein Teil unserer kulturellen Identität und Zeugnis der Willensfähigkeit des Menschen unter entbehrungsreichen Bedingungen, der Natur Land zum eigenen Überleben abzuringen (früher zumindest). Die im Aargau ausgeschiedenen Naturschutzflächen werden von Menschen gepflegt, um eine möglichst hohe Artenvielfalt zu erhalten, da nebst oben genannten Gründen auch die Anzahl der Flächen unter dem menschlichen Siedlungsdruck nicht sehr gross ist. Ebenso strebt man nach der Vernetzung solcher Flächen auf kantonaler und nationaler Ebene.
Übrigens wird auf kommunaler Ebene viel ehrenamtliche Arbeit geleistet (Pflegemassnahmen, Abfallsammeln, Öffentlichkeitsarbeit); darum braucht es Förderung und Schaffung eines Bewusstseins für Naturschutzanliegen.
A: Das was Sie da beschreiben, ist ein Zoologischer oder Botanischer Garten. PS: Sukzession ist Natur. Ein grosser Teil der sogenannten Artenvielfalt bei uns, konnte erst gedeihen, weil der Mensch schon vor Jahrhunderten massivst in die Natur eingriff und diese zerstörte, indem er z.B. grossflächig die Wälder rodete und es dadurch Offenlandarten ermöglichte, hier zu leben, die natürlich gar nicht vorkommen.
B: Ich kann Ihren pauschaliserenden Aussagen nicht ganz zustimmen: Zoologische/botanische Gärten werden zumeist von Grund vom Menschen erstellt und Pflanzen/Tiere künstlich angesiedelt. Bevor eine Fläche als Naturschutzgebiet deklariert wird, erfolgt zuerst eine Bestandsaufnahme der dort heimischen Flora und Fauna, anschliessend werden Massnahmen zur Pflege erarbeitet, was mitunter zu künstlichen Eingriffen wie das Anlegen von Biotopen, Freiflächen für Pionierarten und regelmässiges Mähen von Gras-/Schilfflächen führt. Es werden also nicht künstlich Arten angesiedelt, sondern bereits bestehende Populationen gefördert. In der Tat wäre der Aargau ohne menschliche Anwesenheit dicht bewaldet und ich bin mit Ihnen einig, dass vom Menschen unberührte Natur keinerlei Eingriffe verträgt. Die heutige Realität ist eine andere: Kulturwälder, begradigte/kanalisierte/regulierte Flüsse/Bäche, weit entfernt von einer dynamischen Auenlandschaft.
A: In Mitteleuropa gibt es keine, vom Menschen unberührte, Natur. Aber man könnte sie sehr einfach nicht mehr berühren.
B: Leider haben Sie recht und es stimmt mich traurig, wie wir Menschen mit der Natur umgehen und jedes noch unberührte Flecken zivilisieren. Mir ging es bei meinen Kommentaren darum, die Sinnhaftigkeit der praktischen Naturschutzarbeiten zu erläutern, wie ich sie auf kommunaler Ebene in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft und kantonalen Fachleuten erfahren durfte.
C (Claudia, ich): Etwas zeitlich verzögert, möchte ich danken für den Austausch und noch einen weiteren Standpunkt hinzufügen: Es gibt nur noch wenig Wildnis in der Schweiz, wir brauchen das Kulturland u.a. für die Produktion von Nahrungsmitteln und Rohstoffen. Selbst wo es noch Wildreservate gibt (z.B. der Urwald im Muotatal) werden Regen und Hitze ungewollte menschengemachte Faktoren beisteuern. Biodiversität ist wichtig, weil wir nicht wissen, wie gut sich die Natur an diese Situation anpassen kann. Diversität ist die „Versicherung“ für die hohen Risiken, die wir heute haben. Kann sich die Natur ohne Hilfe von BürgerInnen und von Naturschutzorganisationen helfen? Vermutlich schon. Aber in einem so „kultivierten“, durch verschiedenste Interessen und Bedürfnisse parzellierten Land wie die Schweiz müssen wir mehr tun. Ich komme auf drei mögliche Pisten: Wildnis zulassen, überall, wo es passt (auch in Form einer Ruderalfläche in der Stadt), Zonen und die Artenvielfalt darin bewusst schützen (z.B. in den Nationalparks) und die Natur auch dort fördern, wo sie eher im Nachteil ist (also in den Städten, an Wegrändern, in geeigneten Zonen in Landwirtschaftsgebieten). Eine Zauberformel habe ich jedoch nicht ;). Schöne Woche!
Und noch ein P.S. Ich bin sehr dankbar für alle, die über diese Dinge nachdenken und – Hut ab! – für alle, die sich konkret dafür engagieren!