
Während ich diesen Blogbeitag schreibe, ist die COP26 in Glasgow noch in vollem Gange. Gerade heute morgen habe ich ein Video von der gestrigen Demonstration dort gesehen: ein bunter Zug von Menschen aller Generationen und ganz unterschiedlicher Ausrichtung. Diese Menschen engagieren sich als besorgte und teilweise wütende und verzweifelte Weltbürger*innen („no more blah, blah, blah…“), weil ihre Lebensgrundlage sprichwörtlich erodiert (das gilt bspw. für indigene Völker in Brasilien) oder weil sie sich um die Zukunft ihrer Kinder sorgen.
Was da so vielfältig und doch für einen Moment geeint stattfindet, ist sogenannte „environmental citizenship (EC)“, bürgerschaftliches Engagement für die Umwelt oder Umweltbürger*innenschaft. Ich habe den englischen Begrifff hier zuerst erwähnt, weil es dafür keine gute Übersetzung ins Deutsche gibt. Nicole Bauer von der Eidgenössischen Anstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL hat dies letzten Herbst so gesagt: bisherige Übersetzungen sind sperrig. (Aus dem Treffen mit ihr ist übrigens diese Episode meines Podcast „Die Natur und die Stadt„ entstanden.) Die Wissenschaftlerin sitzt für die Schweiz in einer COST Action, einem Projekt der EU, in dem sich Forschende aus ganz Europa vernetzt haben, u.a. um zu definieren, was EC genau umfasst, welche Aktivitäten dazu gehören und welche nicht. Mit der Formulierung von Messgrössen könnte man später Ländervergleiche unternehmen und vielleicht sogar untersuchen, welche Systeme, welche Form der Bildung mehr aktive Umweltbürger*innen hervorbringen.
Mit diesem etwas langen Einstieg möchte ich eigentlich sagen, dass ich in diesem Beitrag versuchen werde zu umreissen, was EC ist. Denn wenn es für etwas keinen Begriff gibt, dann bleibt dieses oft unsichtbar. Ich möchte mehr noch ein Loblied auf die Umweltbürger*innen singen. Für alle hier in der Schweiz und anderswo – dieser Beitrag ist für Euch!
Environmental citizenship – was ist das?
Zunächst eine Definition (wobei es wie oft in der Forschung verschiedene Zugänge gibt): „Nach Dobson (2010) bezieht sich Umweltbürgerschaft auf umweltfreundliches Verhalten im öffentlichen und privaten Bereich, das von dem Glauben an eine gerechte Verteilung von Umweltgütern, an Partizipation und an die Mitgestaltung der Nachhaltigkeitspolitik getragen wird. Es geht um die aktive Beteiligung der Bürger an der Entwicklung zur Nachhaltigkeit. „ (Der Literaturhinweis findet sich am Ende dieses Beitrags.)
Vereinfacht gesagt, gibt es zwei typische Ausprägungen von EC: eine a. kollektive und öffentliche Form des Engagements, wozu beispielsweise die Fridays for Future gehören, die Unterstützung von politischen Initiativen oder eben die Teilnahme an einer Demonstration wie in Glasgow; b. das private Engagement, das sich im Lebensstil von Menschen ausdrückt, was und wie sie etwas konsumieren, oder in der Arbeit in einer Naturschutzorganisation. In beiden Fällen wird „Umweltbürger*innenschaft“ als etwas freiwilliges definiert, das sich nicht in einer beruflichen Aktivität ausdrückt.
Wie ungeheuer wichtig EC ist, wird klar, wenn wir uns vorstellen, was alles in der Schweiz nicht stattfinden würde ohne sie: keine Eltern, die sich für die (kindergerechte) Begrünung von Schularealen oder Parkanlagen einsetzen; niemand der sich für sinnvolle Abfallsysteme im eigenen Quartier engagieren würde, auch niemand, der auf die Idee kommen würde, einen Gemeinschaftsgarten zu organisieren oder die Baumscheiben entlang einer öffentlichen Strasse biodivers zu gestalten.
Vereine sind wichtig
Diese Woche habe ich in einer Gemeinde in der Nähe von Langenthal eine Initiative des Vereins „Lebendigs Rottal“ anschauen können. Dort hat dieser Verein eine Anlage aus Steinhaufen und einer Tanzlinde inmitten von kreisförmig angelegten Steinmauern angelegt, um unter anderem die Ansiedlung von Ringelnattern oder andern Reptilien zu fördern. Dieser Verein besteht seit Ende der 80er-Jahre und hat viele Projekt umgesetzt. Interessant daran ist, dass es nicht um „Naturschutz“ im engeren Sinne geht, sondern darum in die Wohnumgebung und die Siedlung integrierte Lösungen für Natur und Kultur umsetzen.
In der Schweiz drückt sich bürgerschaftliches Engagement für die Umwelt also oft im Rahmen von Vereinen aus. Oder in der Freiwilligenarbeit für eine Umweltorganisation oder eine Behörde: Ich denke hier an die vielen Menschen, die Neophyten, nicht-einheimische, schnell wachsende Arten jäten, oder die Vogelwelt für die Vogelwarte Sempach kartographieren oder die Biber für die Biberfachstelle der Schweiz.
Ein Loblied auf die Umweltbürger*innen
Und ich möchte auch nochmals auf die kollektive Form von EC eingehen: Auf kommunaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene ist sie von besonderer Bedeutung. Denn ohne öffentlichen Druck für politische vernetzte Massnahmen und speziell für Umweltmassnahmen geht es nicht. Nun verstehen Sie wohl, lieber Leser*innen, weshalb ein Loblieb mehr als angesagt ist. Ohne EC in all seinen Formen sind der Wandel hin zu einer grünen, kreislauforientiert, biodiversen, CO2-armen Welt nicht zu schaffen.
Literaturhinweis:
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