Der Zusammenhang von Pandemie und Verlust der Biodiversität

Es ist viel über den Ursprung des Corona-Virus geschrieben und debattiert worden, aber über den Zusammenhang von Pandemie und Biodiversitätsverlust leider weniger. Und dies, obwohl die Risiken für weitere Pandemien steigen, je mehr die Lebensräume von Wildtieren unter Druck kommen. Hier ein Beitrag in drei Akten.

Erster Akt

Es dauerte fünfzehn Jahre, bevor im 14. Jahrhundert die erste Pest, der Schwarze Tod, Bern erreichte. Sie war weit entfernt in Asien in einem Krieg zwischen den Mongolen und der genuesischen Handelsflotte entstanden und war auf dem Seeweg nach Genua und später in die Schweiz gelangt. Ganze Dörfer wurden damals auf dem Land ausgelöscht, den Städterinnen und Städtern ging es ein wenig besser. Offenbar haben sie durch die räumliche Organisation der Stadt „Social Distancing“ praktiziert. Und sie schienen den Zusammenhang von Nähe und Krankheitsübertragung verstanden zu haben. Wir hörten darüber in einem spannenden und vielschichtigen Stadtrundgang zur Klimageschichte der Hauptstadt der Schweiz und standen eine Weile vor dem damaligen Prunkbau, dem heutigen Rathaus. Der Historiker Claude Longchamp erklärte uns, dass in der sonst dicht gedrängten Berner Altstadt auch wegen der Pest – diese Welle wütete übrigens 30 Jahre! in Stadt und Umgebung – der grosszügige Rathausplatz entstand.

Und meine Liebe zu meiner Katze ist vielleicht eine Ur-Ur-Ur-Erinnerung daran, dass diese Haustiere im Mittelalter die Zahl der schwarzen Hausratten und ihrer Flöhe, die Überträgerinnen der Pest, minimierten.

Zweiter Akt

Vor etlichen Jahren habe ich einen Dokumentarfilm über den ersten prominenten Aidstoten der Schweiz gedreht. André Ratti war als Moderator der TV-Sendung MTW Menschen Technik Wissenschaft bekannt und beliebt. Er hatte Mitte der 80er-Jahre seinen Rock-Hudson-Moment, als er in einem Interview zu bester Sendezeit am Fernsehen bekannte: „Ich heisse André Ratti, ich bin 50, homosexuell und ich habe Aids.“ Ich beobachtete aktiv die Homosexuellen-, Film- und Kunstszenen und wie sie damals mit der Aidskrise umgingen. Die damalige Anti-Aids-Kampagne des Bundesamts für Gesundheit gilt heute noch als legendär, weil sie genau den richtigen Ton fand, um die betroffenen Gemeinschaften zu sensibilisieren. Aber erst viele Jahre später hörte ich, wie der HIV-Virus auf den Menschen übertragen wurde: und zwar durch den Biss eines Schimpansen. Wahrscheinlich ist, dass das Virus von Afrika via Haiti in die USA kam. (Ich hatte in einem Vortrag in eben dem oben genannten Rathaus gehört, dass ein Matrose das Virus von Afrika auf dem Seeweg in andere Kontinente trug.)

Dritter und vorerst letzter Akt

Der Coronavirus hingegen verbreitete sich so schnell, wie der internationale Flugverkehr jede oder jeden mit anderswo vernetzt, nämlich rasant und effizient. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wurde das SARS-Cov2-Virus ebenfalls über ein Wildtier aus einem Markt oder durch die Pelzindustrie von China auf Menschen übertragen. Es gibt zwar Diskussionen darüber, das das Virus einem Labor in Wuhan entsprungen oder entwischt sein soll. Aber mich überzeugen diese Hypothesen nicht. Als biomedizinische Laiin finde ich die Erklärung, dass der Urprung der Pandemie mit dem Verlust der Biodiversität zusammenhängen könnte, überzeugender.

Unlängst habe ich dazu einen Meinungsbeitrag auf der Webseite von CNN Business gelesen, dessen detaillierte Analyse ich hier gerne teilen möchte. Die drei AutorInnen Marco Lambertini, Gim Huay Neo und Elizabeth Mrema bieten folgende systemische Erlärung an:

„Sowohl der Verlust von Lebensräumen als auch der Handel mit Wildtieren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Krankheiten vom Tier auf den Menschen übergehen. Unsere immer intensiver werdenden Landwirtschafts- und Lebensmittelsysteme erfordern eine stärkere Landnutzung und Tierhaltung und sind eine der Hauptursachen für die Abholzung der Wälder (Hinweise in eigener Sache, siehe den Link zum Podcast unten). Dadurch verringert sich der Lebensraum für Wildtiere, was bedeutet, dass sie regelmäßiger mit Menschen in Kontakt kommen, was die Chancen für das Auftreten potenzieller Krankheitserreger erhöht.“

Gleichzeitig untergrabe, so die AutorInnen weiter, der Verlust der biologischen Vielfalt die Fähigkeit der Natur, sauberes Wasser oder ein stabiles Klima zu gewährleisten (siehe dazu folgenden Blog-Beitrag). Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Auswirkungen dieses Verlusts lägen seit Jahrzehnten auf dem Tisch, und jetzt sähe man die Auswirkungen im wirklichen Leben, einschließlich des Auftretens neuer Infektionskrankheiten, mit zunehmender Häufigkeit.

Eigentlich müssten sich Pandemie-Aktions- und Wiederherstellungspläne (sog. „Recovery plans“) auch der Risiken eines Verlusts von Biodiversität annehmen, z.B. durch Anreize an Bauern und Nahrungsmittelhersteller, damit diese sich regenerativen Formen der Landwirtschaft zuwenden. Denn 50% des globalen Bruttosozialprodukts stammt aus Wirtschaftszweigen, die auf natürlichen Ressourcen beruhen wie etwa die Nahrungsmittelproduktion oder die Bauindustrie.

Staats- und Regierungschefs „müssen sich daran erinnern, dass der Schutz der biologischen Vielfalt und die Sicherung einer naturfreundlichen Welt mehr als eine moralische Verantwortung ist: Sie sind von grundlegender Bedeutung, um das Pandemierisiko zu verringern und die Pariser Klimaziele zu erreichen“.

Schade, dass der Zusammenhang von Pandemie und Biodiversitätsverlust immer erst am Schluss mitgedacht wird, wenn überhaupt. Als ob es ein Leben der Menschheit jenseits der sie umgebenden Natur geben könnte.

Siehe dazu auch meine Podcast-Episode: Wir Menschen brauchen die Wälder – nicht umgekehrt.

Opinion: Why protecting the planet is essential to preventing future pandemics – CNN

Seuchen: Mit diesem Luxusgut kam die Pest nach Europa – WELT

About the Author
Seit Dezember 2020 veröffentlicht Claudia Acklin alle drei Wochen eine Episode ihres Podcasts. "Nature and the city - Die Natur und Stadt" beschäftigt sich mit Stadtökologie, Biodiversität und dem Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die Stadtbewohner. - Claudia Acklin studierte Designmanagement, Sozialpädagogik und Journalismus und arbeitete mehr als 12 Jahre als Journalistin und Dokumentarfilmerin. Bis 2015 war sie hauptsächlich im Bildungs- und Forschungsbereich tätig und entwickelte neue Studiengänge wie den BA Design Management, International (DMI) oder eine Forschungsgruppe zu Design Management und Design Innovation an der Hochschule Luzern - Design & Kunst. Sie ist Gründungsmitglied des Vereins "Swiss Design Transfer", einem regionalen Zentrum für Designpromotion und -unterstützung für KMU. Und sie war die Gründerin und erste Geschäftsführerin des Creative Hub, einer Plattform zur Unterstützung von Start-ups im Schweizer Designsektor. Sie hat einen Doktortitel in Design von der Lancaster University/Imagination mit besonderem Schwerpunkt auf Innovation und Designmanagement. Von 2016 bis Mitte 2022 war sie die Leiterin der Geschäftsstelle der ausserparlamentarischen Kommission Schweizerischer Wissenschaftsrat SWR: **************** Since December 2020, Claudia Acklin publishes an episode of a podcast every three week. "Nature and the city" deals with urban ecology, biodiversity and climate change and the implications of the latter for citizens living in cities. - Claudia Acklin studied design management, social pedagogy and journalism; she worked for more than 12 years as a journalist and documentary filmmaker. Until 2015, she has mainly been working in the educational and research field and developed new study programmes such as the BA Design Management, International (DMI) at Lucerne School of Art and Design or a research group on design management and design innovation. She also is a founding member of the association “Swiss Design Transfer”, a regional centre for design promotion and support for SMEs. And she was the founder and first managing director of the Creative Hub, a platform to support start-ups of the Swiss design sector. She holds a PhD in design from Lancaster University/Imagination with a special focus on innovation and design management. From 2016 until mid 2022 she was the head of the secretariat of the extra-parliamentary commission Swiss Science Council SSC.