Buddhismus, Feminismus und ökologisches Bewusstsein

Buddhismus, Feminismus und ökologisches Bewusstsein

Lotos-Blüten stehen für ein erwachtes Bewusstsein (Bild: C. Acklin)

Wenn es um Klimawandel und Biodiversität geht, dann sind die Ergebnisse der Naturwissenschaften eminent wichtig für Gesellschaft und Politik. Sie erklären, quantifizieren oder kategorisieren, was im Moment mit unserem Planeten passiert. Auch eine sozial- oder geisteswissenschaftliche Betrachtungsweise dieser Veränderungen ist von hohem gesellschaftlichem Wert. Dieses Wissen und diese Methoden untersuchen, inwiefern unser Verhalten als KonsumentInnen oder BürgerInnen die Umwelt beeinflusst oder gar schädigt. Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind auch dafür geeignet zu verstehen, weshalb ein ökologisches Bewusstsein eine knappe Ressource zu sein scheint.

Wissenschaft und ökologisches Bewusstsein

Bei allen kognitiven oder rein wissenschaft­lichen Zugängen zur Natur und unserer Umwelt kommen andere, unmittelbarere Perspektiven zum Verständnis der aktuellen Klimakrise und des Verlusts der Artenvielfalt oft zu kurz: emotionale, empfindungsmässige, körperliche, spirituelle, ethisch-philosophische Zugänge, meine ich damit. Zumindest die westliche Welt verwendet teilweise sogar Denkkategorien für das Verständnis unserer Krise, die an der Wurzel unseres Prob­lems liegen: der Trennung von Menschen und Natur.

Eine Stärke, aber auch Schwäche westlicher Denktraditionen ist eben, dass die Natur ein Forschungsgegenstand ist, den wir unter das Mikroskop oder auf den Seziertisch legen oder deren Daten wir im Computer modellieren. Andere Denktraditionen wie jene indigener Völkern oder asiatische Philosophien und spirituelle Schulen wie der Buddhismus, Taoismus oder Hinduismus trennen weniger stark zwischen Mensch und Natur. Es ist im Gegenteil ihr Ziel, dass sich der Mensch in das grosse Ganze einfühlt und damit eins wird. Doch es gibt auch westliche Perspektiven, die in eine ähnliche Richtung zielen: Auf den ersten Blick nicht gleich erkennbar, stehen sich Buddhismus und Feminismus näher, als wir denken. Sie überlappen sich in einer Weise, dass ökologisches Bewusstsein entstehen kann.

Buddhismus und Feminismus

Ich bin keine Spezialistin für Buddhismus, glaube aber einige Grundkonzepte verstanden und in meinem Leben willkommen geheissen zu haben. Zum Beispiel das Gewicht, das der Buddhismus dem Mitgefühl gibt, nicht nur Mitmenschen sondern jeder Kreatur gegen­über. Mein Interesse daran entspringt aber am ehestem dem Bedürfnis nach Alternativen zu einem permanenten Gefühl von Getriebensein. Anstatt mich permant unter Druck zu setzen, genügend Leistung zu erbringen, möchte ich mehr einfach nur dasein können. Für das was ist. Im Hier und Jetzt, in Achtsamkeit mir selbst und andern, aber auch der Natur in der Stadt gegenüber.

Damit bin ich beileibe nicht allein. Zum Glück muss ich sagen. Der Buddhismus ist eine Reflexionshilfe, ein anderer Muskel, den ich zur Verfügung habe, ein Gegenspieler zu meinem Arbeitsalltag. Ebenso nah an meiner Erfahrung und Lebensrealität liegt der Feminismus. Er ermöglicht es mir, mich mit meiner Erfahrung als Frau, mit meinem Leben, Lieben und Arbeiten auseinanderzusetzen.

Obwohl uns heute die Neuropsychologie auf Schritt und Tritt nachweist, dass wir aufgrund von wenig bewussten Stereotypen reagieren und entscheiden, weil diese unser Hirn sprichwörtlich „prägen“, bilde ich mir ein, dass jeder Mensch sein Bewusstsein auch ändern kann. Dass wir jenseits von im Hirn eingeprägten Konditionierungen über einen freien Willen verfügen.

Wenn wir einmal erkannt haben, dass es falsch ist, uns gleichsam von unserer Lebensgrundlage abzutrennen, dann können wir ökologisches Bewusstsein entwickeln. Auch als Kollektiv.

Buddhismus, Feminismus und ökologisches Bewusstsein

Der Feminismus und Buddhismus bieten beide greifbare Konzepte und Verhaltensweisen an, um die Beziehung von Mensch und Natur zu überdenken und anzupassen. Sie sind Bestandteil eines dringend notwendigen ökologischen Bewusstseins und ergänzen sich gegenseitig. Stephanie Kaza beschreibt in ihrem Artikel „Mit Mitgefühl handeln: Buddhismus, Feminismus und die Umweltkrise“ („Acting with compassion: Budd­hism, feminis and the environ­mental crisis“, siehe Literaturhinweis an Ende dieses Beitrages) verschiedene Bereiche, in die die zwei zusammenfliessen:

1. Erfahrungswissen

Für den Buddhismus ist das Erfahrungswissen wichtiger als Theorie und Abstraktionen. Mit unserem Geist, nicht mit dem Intellekt, lernen wir die Gesetz­mässigkeiten des menschlichen Leidens zu verstehen. Die Frauenbewegung reklamierte in den 60er- und 70er- Jahren das Persönliche als das Politi­sche. Die eigene Realität und die Unterdrü­ckung der Frauen generell waren der Ausgangspunkt und der Endpunkt für verschiedenste Aktivitäten. Denn weder Buddhismus noch Feminismus tun die Subjektivität als minderwertig ab. Das Erfahrungswissen umfasst Erkennt­nis über den Gegenstand wie auch das Subjekt, das diese Erkenntnis sammelt. – Im Moment sind wir alle die Zuschauer einer sich teils in Zeitlupe, teils beschleunigt abspielenden Klimakrise. Wir alle sind mehr oder minder Treiber dieser Entwicklung.

2. Untersuchung des konditionierten Geistes

Buddhisten versuchen sich durch Introspektion ihrer eigenen Illusionen und Konditionierungen zu entledigen. In der indischen Philosophie spricht man etwa von Maya. „Einerseits ist sie die verhüllende Kraft, welche die Wahrheit unter einem Schleier verbirgt, und andererseits ist sie die projizierende Kraft, welche dem Menschen die Wahrheit als eine andere Wirklichkeit erscheinen lässt.“ Auch der Feminismus hat sich mit der Konditionierung des Bewusstseins durch das Patriarchat beschäftigt. Beispielsweise durch die Sprache: Wo keine adäquaten Begriffe vorhanden sind, gibt es auch keine „Realität“. In Bezug auf ökologisches Bewusstsein wirkt etwa die oben genannte projizierende Kraft: Wir über-simplifizieren die Natur oft. Der Wolf ist böse und der Fuchs schlau, eine Wüste ist ein Niemandsland und ein Wald kühl, gutes Land eignet sich für die Landwirtschaft, andere Orte wie beispielsweise Ruderalflächen sind unnötig.

3.  Die Wahrheit der gegenseitigen Verbundenheit

Nach Auffassung des Buddhismus sind alle Ereignisse und Wesen voneinander abhängig und miteinander verbunden. „Das Universum wird als ein wechselseitig kausales Beziehungsgeflecht beschrieben, wobei jede Handlung und jedes Individuum zur Natur vieler anderer beiträgt“, schreibt Kava.  Dass diese Charakterisierung des Universums auch ziemlich exakt Ökosysteme beschreibt, liegt auf der Hand. Auch der Feminismus hat viele Frau aus ihrer vermeintlichen Einsamkeit befreit und miteinander in Beziehung gebracht.

4. Emotionale Energie als Quelle der Heilung

Buddhisten versuchen ihre Gefühle so anzunehmen, wie sie sind, auch Wut, Ressentiments oder Trauer. Wieder ganz zu werden nach einer persönliche Krise geht nur, wenn wir unsere Emotionen akzeptieren. Das Erstaunliche dabei ist, dass sie sich danach wandeln und wir nach einer Zeit der Wut oder Trauer wieder Atmen können. Vor allem junge Menschen leiden heute besonders stark unter der Zerstörung der Umwelt und dem Verlust der Biodiversität. Doch Depression macht Menschen handlungsunfähig. Wer in sich die Kraft aufbringen kann zu reagieren, hat hingegen die Möglichkeit zu einer „besseren“ Welt beizutragen, sei dies in Bezug auf die Unterdrückung von Frauen oder die Klimakrise.

5. Beziehungsethik

Laut Kaza basiert die buddhistische Beziehungsethik auf dem Wissen, „dass man nicht handeln kann, ohne andere Lebewesen zu beeinflussen, dass es unmöglich ist, ausserhalb des Netzes der Verbundenheit zu leben“. Feministische Autorinnen sprechen von einer „kontextuelle Ethik“. Sie „reflektiert sowohl die Vielfalt der menschlichen Stimmen an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit als auch die spezifischen Umweltbeziehungen, in die das menschliche Dilemma eingebettet ist“. Mit andern Worten: Umweltbezogene Dilemmas ereignen sich in Netzen und Netzwerken und sind jeweils durch einen präzisen Kontext charakterisiert. Es gelten also nicht immer dieselben (rigiden) Regeln. Das macht es schwierig, stets die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Eine Voraussetzung sowohl für den Buddhismus wie den Feminismus sind lebendige Gemeinschaften für gemeinsame Diskussionen und Aktionen. Eine Entsprechung zum Mönchstum des Buddhismus findet man im Feminismus zwar nicht. Aber beide Bewegungen haben das Potential der Vereinzelung des Individuums, wie wir sie aus unserer Gesellschaft kennen, entgegenzuwirken. Nicht nur die gemeinsame Sache verbindet, sondern auch ein gemeinsames Bewusstsein. Wenn wir uns ins Bezug auf unseren Umgang mit der Umwelt und der Natur einig sind, dann erreichen wir im Kollektiv jene sozialen Wendepunkte, um echte Veränderungen herbeizuführen.

Literatur:

Callicott, B. J., & McRae, J. (Eds.). (2014). Environmental philosophy in asian traditions of thought (SUNY Press). Albany: State University of New York.

About the Author
Seit Dezember 2020 veröffentlicht Claudia Acklin alle drei Wochen eine Episode ihres Podcasts. "Nature and the city - Die Natur und Stadt" beschäftigt sich mit Stadtökologie, Biodiversität und dem Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die Stadtbewohner. - Claudia Acklin studierte Designmanagement, Sozialpädagogik und Journalismus und arbeitete mehr als 12 Jahre als Journalistin und Dokumentarfilmerin. Bis 2015 war sie hauptsächlich im Bildungs- und Forschungsbereich tätig und entwickelte neue Studiengänge wie den BA Design Management, International (DMI) oder eine Forschungsgruppe zu Design Management und Design Innovation an der Hochschule Luzern - Design & Kunst. Sie ist Gründungsmitglied des Vereins "Swiss Design Transfer", einem regionalen Zentrum für Designpromotion und -unterstützung für KMU. Und sie war die Gründerin und erste Geschäftsführerin des Creative Hub, einer Plattform zur Unterstützung von Start-ups im Schweizer Designsektor. Sie hat einen Doktortitel in Design von der Lancaster University/Imagination mit besonderem Schwerpunkt auf Innovation und Designmanagement. Von 2016 bis Mitte 2022 war sie die Leiterin der Geschäftsstelle der ausserparlamentarischen Kommission Schweizerischer Wissenschaftsrat SWR: **************** Since December 2020, Claudia Acklin publishes an episode of a podcast every three week. "Nature and the city" deals with urban ecology, biodiversity and climate change and the implications of the latter for citizens living in cities. - Claudia Acklin studied design management, social pedagogy and journalism; she worked for more than 12 years as a journalist and documentary filmmaker. Until 2015, she has mainly been working in the educational and research field and developed new study programmes such as the BA Design Management, International (DMI) at Lucerne School of Art and Design or a research group on design management and design innovation. She also is a founding member of the association “Swiss Design Transfer”, a regional centre for design promotion and support for SMEs. And she was the founder and first managing director of the Creative Hub, a platform to support start-ups of the Swiss design sector. She holds a PhD in design from Lancaster University/Imagination with a special focus on innovation and design management. From 2016 until mid 2022 she was the head of the secretariat of the extra-parliamentary commission Swiss Science Council SSC.