Seien wir doch ehrlich mit uns und dem Planeten

Im Dezember 2020 habe ich die erste Episode meines Podcast „Die Natur und die Stadt“ veröffentlicht. Im ersten Beitrag ging es um die Honigbienen und dass diese sehr gerne in der Stadt nach Nahrung suchen. Das war damals eine Überraschung für mich. Doch seither habe ich vieles mehr von meinen InterviewpartnerInnen gelernt: Zum Beispiel, dass Pilze keine Pflanzen sind und viele davon eine Partnerschaft mit Bäumen eingehen. Oder dass die Tierrechte („die Würde der Kreatur“) zwar in der Bundesverfassung verankert sind, dass es aber dennoch viele Baustellen gibt wie etwa die Verankerung der Rechte ebendieser Honigbienen oder anderer Insekten. Ich weiss vieles mehr über Biber, die Alpen- und Mauersegler, die Trocken- und Magerwiesen und natürlich auch über Schnittstellen der städtischen Natur mit uns Menschen, beispielsweise in der naturnahen Gestaltung von Wohnumgebungen, bei Dachbegrünungen oder in Gemeinschaftsgärten der Stadt.

Ehrlich mit uns und unserem Planeten

Einer der Vorteile von Lernen 😉 besteht darin, dass man (plötzlich) Dinge entdeckt oder wahrnimmt, die man vorher nicht beachtet oder gar schnöde links liegen gelassen hat. Ich bin wie – man so schön sagt – sensibilisiert auf jene Dimension unseres Lebens, die eine der grundlegendsten überhaupt ist: die uns umgebende natürliche Umwelt. Und ja, sie existiert auch in der Stadt und ist für diese sogar besonders wichtig. Ich entdecke heute jedoch auch viele Ungereimtheiten. Bei mir und bei anderen. Wir sind nicht immer ehrlich mit uns und unserem Planeten. So weiche unangenehmen Diskussionen à la „Wollen wir unseren Kirschlorbeer im Garten nun endlich entfernen?“ lieber aus. Aus Bequemlichkeit oder um mich nicht zu streiten, schon gar nicht mit den mir liebsten Menschen.

Sensibilisierung ist gut, aber…

Die „Sensibilisierung“ hat auch ihr Gutes, wobei gut hier nicht gleichzeitig auch angenehm heisst. So ist mir vor kurzem eine Werbebroschüre eines Energieunternehmens für Biogas ins Haus geflattert. Welches ist hier nicht weiter von Bedeutung, denn ich nehme an, dass sich die Energieunternehmen in diesen Zeiten einer drängenden Transformation wohl ähnlich verhalten. Und zwar nicht unbedingt ehrlich. (Neudeutsch spricht man von Greenwashing.) Die Broschüre macht sich für die Nutzung von lokalem Biogas stark: Dieses soll den fossilen Energieträger Erdgas teilweise oder ganz ersetzen, um damit das Klima zu schonen. Man habe dafür den perfekten Energiekreislauf entwickelt.

Was kann denn schon falsch daran sein, wenn man die Fossilen ersetzt? – Nun, ich hätte schon das eine oder andere daran auszusetzen. Mein Ärger beginnt mit dem Titelbild der Broschüre: Eine junge Mutter hält im einen Arm einen Kind und schüttet lächelnd mit dem andern Essensreste in den Bioabfall… Was soll, bitte sehr, das 2-jährige Kind hier lernen: dass aus den Nahrungsmittelresten klimaschonendes Gas werden wird oder eher dass es gut ist, Essensreste zu entsorgen? – Und ich dachte, diese „gute Mutter-Propaganda“, mit der man schon so viel verkauft hat, habe  ausgedient?

Der perfekte Energiekreislauf?

Doch es kommt noch dicker: Die Titelgeschichte will einem weismachen, dass diese Küchenabfälle etwas mit unserer Energiezukunft zu tun haben. Unterstrichen wird diese Behauptung durch eine hübsche Grafik, die einen „perfekten Energiekreislauf“ beschreibt:
– erstens aus CO2 entstehen durch Photosynthese Nahrungsmittel (ok),
– zweitens die Reste der Nahrungsmittel werden zusammen mit Klärschlamm aus der Wasseraufbereitung zum Rohstoff für das Biogas (ok),
– dieses Material vergärt in Anlagen zu Biogas vergärt (ok),
– viertens wird dieses Biogas an die Haushalte verteilt (ok),
– und Biogas wird fünftens als Heizenergie oder als Treibstoff für Fahrzeuge genutzt (ok).

Also alles ok?

Nein, denn ein letzter Pfeil im Kreislauf verweist darauf, dass das durch die Nutzung des Biogases freigewordene CO2 geht zurück auf die Natur, dargestellt als Weide mit Kühen und einigen Bäumen. Durch Photosynthese der Bäume und durch die Kühe werden aus dem CO2 wieder Nahrungsmittel. Wirklich? Im Verlauf dieses perfekten Kreislaufs wurde aus Biomasse CO2 produziert. Dafür wurden Essensreste = Biomasse zerstört. In einem natürlichen Kreislauf würden die Nahrungsabfälle, wenn kompostiert, die Lebensgrundlage für Pilze, Insekten, Mikroben gewesen. Es würde dabei Humus entstehen, welcher wiederum der Nährboden für Nahrungsmittel geworden wären. Denn natürliche Prozesse regenerieren und up-cylclen, während die Herstellung von Biogas ein Recycling von Nahrungsmitteln auf Kosten von Biomasse darstellt.

Nun kann man natürlich sagen, dass Biogas noch immer besser ist als Erdgas. Dessen Herstellung ist wohl weniger schädlich für das Klima als die Gewinnung und die Nutzung von Erdgas. Es spricht sicher auch nichts dagegen, Klärschlamm in eine Energiequelle umzuwandeln. Vor allem in einer Phase, in der noch zu wenig Energie und Wärme aus erneuerbaren Quellen vorhanden ist. Bei den Nahrungsmittelresten wird es aber komplizierter. Das Biogas spielt hier Trittbrettfahrer, potentiell zumindest, des „Food waste“. Aber letztlich ist mein Ärger ein anderer: Dürfen Energieunternehmen ihren KundInnen (also uns) ein X für ein U vormachen? Denn Biogas ist nur teilweise eine Lösung, um das Klima zu schonen. Es entsteht noch mehr CO2.

Epilog

Die feinen, aber nicht minder entscheidenden Unterschiede zwischen Up- und Recycling habe ich unter anderem durch die Episode „Muss Unterwäsche kompostierbar sein“ gelernt. Darin ist zu hören, dass die Schweiz Weltmeisterin im Verbrennen von Abfällen ist und damit in der Zerstörung von Biomasse. Darüber spricht Albin Kälin, ein Pioneer von Cradle2Cradle in der Schweiz.

Er hat auch über die EU gesprochen und um wie viel ambitionierter dort die Politik operiert. Welche Enttäuschung, als ich unlängst im Tagesanzeiger lese, dass die EU Erdgas und Atomkraft neu als „grüne“ Energiequellen einstufen möchte. Diese Veränderung der sogenannten Taxonomie, also der Zuordnung zu grünen Energien, würde es Investoren erlauben, in neue Atomkraftwerke etwa in Frankreich oder in Gaskraftwerke zu investieren. Wie viel Greenwashing verträgt eigentlich unser Planet. Ehrlich!?

About the Author
Seit Dezember 2020 veröffentlicht Claudia Acklin alle drei Wochen eine Episode ihres Podcasts. "Nature and the city - Die Natur und Stadt" beschäftigt sich mit Stadtökologie, Biodiversität und dem Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die Stadtbewohner. - Claudia Acklin studierte Designmanagement, Sozialpädagogik und Journalismus und arbeitete mehr als 12 Jahre als Journalistin und Dokumentarfilmerin. Bis 2015 war sie hauptsächlich im Bildungs- und Forschungsbereich tätig und entwickelte neue Studiengänge wie den BA Design Management, International (DMI) oder eine Forschungsgruppe zu Design Management und Design Innovation an der Hochschule Luzern - Design & Kunst. Sie ist Gründungsmitglied des Vereins "Swiss Design Transfer", einem regionalen Zentrum für Designpromotion und -unterstützung für KMU. Und sie war die Gründerin und erste Geschäftsführerin des Creative Hub, einer Plattform zur Unterstützung von Start-ups im Schweizer Designsektor. Sie hat einen Doktortitel in Design von der Lancaster University/Imagination mit besonderem Schwerpunkt auf Innovation und Designmanagement. Von 2016 bis Mitte 2022 war sie die Leiterin der Geschäftsstelle der ausserparlamentarischen Kommission Schweizerischer Wissenschaftsrat SWR: **************** Since December 2020, Claudia Acklin publishes an episode of a podcast every three week. "Nature and the city" deals with urban ecology, biodiversity and climate change and the implications of the latter for citizens living in cities. - Claudia Acklin studied design management, social pedagogy and journalism; she worked for more than 12 years as a journalist and documentary filmmaker. Until 2015, she has mainly been working in the educational and research field and developed new study programmes such as the BA Design Management, International (DMI) at Lucerne School of Art and Design or a research group on design management and design innovation. She also is a founding member of the association “Swiss Design Transfer”, a regional centre for design promotion and support for SMEs. And she was the founder and first managing director of the Creative Hub, a platform to support start-ups of the Swiss design sector. She holds a PhD in design from Lancaster University/Imagination with a special focus on innovation and design management. From 2016 until mid 2022 she was the head of the secretariat of the extra-parliamentary commission Swiss Science Council SSC.