Schweiz als Vorreiterin: Phosphor Recycling

Mit Entsetzen schaute ich im September immer mal wieder nach Bern, wo gerade die Biodiversitäts- und die Gletscherinitiative und ein neues CO2-Gesetz in den zwei Kammern verhandelt wurden. Nun, ich will hier nicht die Naive spielen, die nicht wüsste, wie die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sind. Aber es ist auch nicht die Zeit, ein Pokerface aufzusetzen. Dafür sind die Auswirkungen von kurzfristigen politischen Entscheidungen und das Ausspielen der Biodiversitäts- gegen die Energiepolitik einfach zu verheerend. Ausgerechnet ein Land, das sich rühmt, gute gesetzliche Grundlagen für den Schutz aller Kreaturen zu haben (in der Bundesverfassung!), fällt beschämend tief im Ranking der klimabewussten Nationen. Al Gore, die Galionsfigur des Kampfes gegen den Klimawandel hat die Schweiz in einer Zoom-Übertragung an der Veranstaltung „The Spirit of Bern“ gelobt, aber auch subtil darauf hingewiesen, dass sie die Versprechen als Vorreiterin nicht mehr einhält. Er hat das Resultat der letzten Abstimmung zum CO2-Gesetz genauestens zur Kenntnis genommen.

Phosphor Recycling als Teil der Abfallpolitik

Mitten in meinem Ärger war ich letzthin aber positiv überrascht über die Schweiz. Denn in einem nicht ganz unwichtigen Themenfeld hat sie einen grossen Vorsprung, nicht nur vor Europa, sondern auch international. 2017 hat das Parlament eine Verordnung zur Vermeidung und Entsorgung von Abfall (VVEA) gut geheissen, die die Schweizer Kantone dazu verpflichtet, Phosphor aus dem Abwasser wiederzugewinnen. Warum ist das so wichtig?

1. Import

Im Moment importieren wir Phosphor vorwiegend aus Russland und Marokko. Russland ist übrigens auch einer der grössten Hersteller von Kunstdünger, spielt also nicht nur mit seinen fossilen Ressourcen das Zünglein an der Waage, sondern kann viele Landwirtschaftssysteme auch mit der Lieferung von Kunstdünger unter Druck setzen. Als das Bundesamt für Umwelt BAFU die Idee lancierte, Phosphor aus dem Klärschlamm von Abwasserreinigungsanlagen (ARA) zurückzugewinnen, war die Russland-Situation noch kein Thema. Aber es gab und gibt andere gute Gründe, es zu tun.

  • Das importierte Phosphor ist teilweise mit Schadstoffen durchsetzt wie Cadmium oder Uran. Weil die Schweiz strenge Cadmium Grenzwerte definiert hat, fallen gewisse Lieferanten weg. Zu den besseren Lieferanten gehören Russland oder Marokko, das über 70% der Reserven an Phosphor verfügt.
  • In Marokko werden jedoch Phosphat-Minen mit vielerlei gesundheitlichen Auswirkungen für die ArbeiterInnen und ökologischen Gefahren abgebaut. Auch wer in der Umgebung einer Phosphat-Mine lebt, leidet.
  • Phosphor ist eine begrenzte Ressource. Sich proaktiv darauf einzustellen, diesen Stoff wiederzugewinnen, verschafft der Schweiz und ihrer Landwirtschaft einen Vorsprung.
  • Die Schweiz könnte mittelfristig in Bezug auf den Bedarf an Dünger unabhängig von den Importen werden und die Qualitätsstandards selbst kontrollieren.

2. Recycling

Phosphor ist ein wichtiger Stoff, den Lebewesen – Pflanzen wie Tiere und nicht zuletzt jeder einzelne Mensch – benötigen, um beispielsweise starke Knochen zu entwickeln. Wir nehmen Phosphor durch unsere Nahrung auf. Und wir scheiden es in unserem Urin wieder aus. Das Abwasser aus unseren Haushalten trägt diesen Stoff durch unsere Kanalisation bis in die Kläranlagen (ARA). Ich kann als Lain nur oberflächlich beschreiben, wie man Phosphor wiedergewinnen kann. Aber hier mal so viel:

  • Indem man den Klärschlamm verbrennt, die Asche von Schadstoffen reinigt und mit Phosphorsäure anreichert.
  • Indem man auf technische Weise aus dem Klärschlamm Phosphorsäure herstellt und diese der Asche hinzufügt.
  • Ausserdem kann Phosphor auch aus Fleischabfällen und dem Knochenmehl von Tieren wieder gewonnen werden.

Man kann also den Kreislauf von der Gewinnung von Phosphor, der Nutzung von Phosphor als Dünger in der Landwirtschaft und dem Recycling von Phosphor aus dem Urin von Menschen schliessen. Das so zurückgewonnene Phosphat kann zu einem Recyclingdünger verarbeitet und wieder an die Landwirte verkauft werden.

3. Systeminnovation

Was nun so ausserordentlich ist an dieser Geschichte, ist dass ausgerechnet eine Bundesbehörde, das BAFU um genau zu sein, eine komplexe systemische Innovation an die Hand genommen hat. Dies basierend auf einer Verordnung, die die verschiedenen Anspruchsgruppen verpflichtet, den entsprechenden Gesetzesartikel bis 2026 umzusetzen. Doch was ist eine Systeminnovation überhaupt? – Sie verknüpfte verschiedene Ebenen einer Innovation bzw.Teilsysteme. Versteht sich von selbst, dass dies aufwändig ist.

  • Verfahren: Um Phosphor wiederzugewinnen, braucht es zunächst mal neue technische Verfahren. Die ARAs betreiben im Moment Forschung und Entwicklung. Es entstehen gerade – in gut schweizerischer Manier – in den verschiedenen Kantonen verschiedene Lösungen dazu.
  • Prozess und Organisation: Es ist die öffentliche Hand, die die ARAs betreiben. Es ist nicht deren Aufgabe einen Recyclingdünger zu produzieren, geschweige denn an die Landwirtschaft zu verkaufen. Das Bundesamt für Umwelt hat deshalb die Organisation SwissPhosphor gegründet und arbeitet darin in verschiedenen Arbeitsgruppen auch mit der Düngerindustrie zusammen. Andere involvierte Anspruchsgruppen sind die Fleisch- und Knochenmehl-Verarbeiter, die Landwirtschaft, die Abwassermanagement-Leistungserbringer, die Kantone und die Zementindustrie (ein weiterer Abnehmer von Phosphor). Man wird in SwissPhosphor wohl Formen der Zusammenarbeit der öffentlichen Hand und der Wirtschaft und entsprechende Business Modelle entwickeln, für Aktiengesellschaften zum Beispiel oder für Gemeindeverbände.
  • Finanzierung: Ausserdem sind Finanzierungsmodelle nötig, um das Recycling für die Kantone kostendeckend zu betreiben. Erträge könnten aus dem Verkauf der Phosphorsäure und der Asche kommen. Ausserdem könnten die SteuerzahlerInnen einen kleinen Anteil der Kosten übernehmen. Denn die Abwassergebühren sind in der Schweiz relativ niedrig und es würde sich um einen vertretbar kleinen Aufschlag handeln (ganz anders als bei den Krankenkassenprämien ;).

Wenn die Verknüpfung von technologischer Innovation für die Rückgewinnung, von Produktion und Vertrieb von Recyclingdünger und die Entwicklung passender Organisationsformen und Finanzierungsmodellen gelingt, dann können wir nicht nur einer Bundesbehörde ein Kränzchen winden, sondern auch für einmal wieder stolz auf die Schweiz sein! Deutschland wird erst später mitziehen.

About the Author
Seit Dezember 2020 veröffentlicht Claudia Acklin alle drei Wochen eine Episode ihres Podcasts. "Nature and the city - Die Natur und Stadt" beschäftigt sich mit Stadtökologie, Biodiversität und dem Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die Stadtbewohner. - Claudia Acklin studierte Designmanagement, Sozialpädagogik und Journalismus und arbeitete mehr als 12 Jahre als Journalistin und Dokumentarfilmerin. Bis 2015 war sie hauptsächlich im Bildungs- und Forschungsbereich tätig und entwickelte neue Studiengänge wie den BA Design Management, International (DMI) oder eine Forschungsgruppe zu Design Management und Design Innovation an der Hochschule Luzern - Design & Kunst. Sie ist Gründungsmitglied des Vereins "Swiss Design Transfer", einem regionalen Zentrum für Designpromotion und -unterstützung für KMU. Und sie war die Gründerin und erste Geschäftsführerin des Creative Hub, einer Plattform zur Unterstützung von Start-ups im Schweizer Designsektor. Sie hat einen Doktortitel in Design von der Lancaster University/Imagination mit besonderem Schwerpunkt auf Innovation und Designmanagement. Von 2016 bis Mitte 2022 war sie die Leiterin der Geschäftsstelle der ausserparlamentarischen Kommission Schweizerischer Wissenschaftsrat SWR: **************** Since December 2020, Claudia Acklin publishes an episode of a podcast every three week. "Nature and the city" deals with urban ecology, biodiversity and climate change and the implications of the latter for citizens living in cities. - Claudia Acklin studied design management, social pedagogy and journalism; she worked for more than 12 years as a journalist and documentary filmmaker. Until 2015, she has mainly been working in the educational and research field and developed new study programmes such as the BA Design Management, International (DMI) at Lucerne School of Art and Design or a research group on design management and design innovation. She also is a founding member of the association “Swiss Design Transfer”, a regional centre for design promotion and support for SMEs. And she was the founder and first managing director of the Creative Hub, a platform to support start-ups of the Swiss design sector. She holds a PhD in design from Lancaster University/Imagination with a special focus on innovation and design management. From 2016 until mid 2022 she was the head of the secretariat of the extra-parliamentary commission Swiss Science Council SSC.

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