
Pilz – gefunden auf dem Friedhof Bümpliz (C.Acklin)
Diese Woche hatte ich das Glück mit einer Pilzexpertin und erfahrenen Pilzkontrolleurin einen verregneten November-Spaziergang durch den Friedhof von Bümpliz zu machen. Wir hatten ausgemacht, dass für die Suche nach Pilzen in der Stadt der Friedhof ein guter Startpunkt sein würde.
Wer hätte das gedacht: Je länger ich mich mit der Natur in der Stadt beschäftige, desto mehr finde ich mich auf den Friedhöfen von Bern wieder, die wahre Inseln der Artenvielfalt sind. Sie sind nicht nur Grabstätten und Orte der Erinnerung an unsere Verstorbenen, sie sind auch Parks für die Lebenden. Im gesamten sind es 40 Hektaren Land, die die Friedhöfe in der Stadt Bern belegen. Und die Natur, der Zyklus der Jahreszeiten, sie sind gleichsam ein Gefäss für die Trauer oder gar eine Unterstützung, um den Abschied zu verarbeiten.
Pilze auf dem Friedhof
Die Pilzexpertin und ich hatten kaum einen Schritt auf das Gelände getan, da standen wir schon vor zwei Gruppen von Pilzen, die dort in Symbiose mit den nahestehenden Fichten leben. Es gibt auch weiter hinten viele Pilze, in allen Grössen, in vielen Arten, essbar und nicht-essbar und sogar giftig. Doch ich möchte hier nicht alles preisgeben, was ich gelernt habe und was ich zu einer Podcast-Episode verdichten werde (aufgeschaltet ab dem 8. Januar 2020 hier).
Pilze in der Stadt
Eingefallen ist mir beim Spaziergang eine Geschichte, die ich vor vielen, wirklich vielen Jahren gelesen habe und die ich hier vorstellen möchte. Der italienische Schriftsteller Italo Calvino, der vielen vielleicht durch seinen Roman „Der Baron auf den Bäumen“ ein Begriff ist, hat zuvor ein feines Büchlein geschrieben, das mir auf eine spezielle Weise gerade jetzt wieder aktuell erscheint. Calvino beschreibt in „Marcovaldo ovvero le stagioni in città“ („Marcovaldo oder die Jahreszeiten in der Stadt“), wie der Handwerker Marcovaldo die Stadt durch die Linse der Natur betrachtet. Und dies hat auch seinen Grund. Sinngemäss zusammengefasst schreibt Calvino: Marcovaldo habe ein Auge gehabt, das nicht sehr geeignet für das Stadtleben war. Er hatte es nicht so mit Schildern, Ampeln, Schaufenstern, Leuchtreklamen, oder Plakaten. Stattdessen sei ihm nie ein Blatt, das an einem Zweig vergilbte oder eine Feder, die sich an einer Kachel verfangen hatte, entgangen. Er dachte über diese kleinen Beobachtungen nach und entdeckte in den Veränderungen der Jahreszeiten die Wünsche seiner Seele und das Elend seiner Existenz. (Ganz bestimmt passt dieses Bewusstsein zu den leidenschaftlichen Pilzler*innen dieser Welt, die eine spezielle Beobachtungsgabe zu besitzen scheinen und auch kleinste Exemplare sehen, an denen ich achtlos vorbei marschiere.)
Ganz konkret möchte ich aber die folgende Geschichte „Funghi in città“ von Calvino kurz nacherzählen: Marcovaldo entdeckt eines Morgens an der Haltestelle Pilze, die auf der Tram-Insel zu spriessen beginnen. Er weiss, dass es noch ein paar Tage und etwas Regen benötigt, bevor er sie pflücken kann. Begeistert erzählt er seiner Familie davon, hütet aber das Geheimnis über den Standort des Pilzsegens. Ihm läuft bereits das Wasser im Mund zusammen, wenn er sich die Mahlzeit vorstellt. Er ist ganz aufgeregt und schaut am nächsten Tag nochmals nach, wie weit die Pilze gewachsen sind. Und wird dabei von einem Strassenfeger beobachtet! Marcovaldo erschrickt und beobachtet seinen Konkurrenten später aus der Ferne. In der Nacht darauf regnet es und Marcovaldo eilt mit seiner Familie erwartungsvoll zu den Pilzen, die tatsächlich in voller Pracht dastehen. Doch auch der Strassenfeger steht bereits mit einem Korb voller Pilze da und meint hämisch, er wolle erst mal sehen, ob Marcovaldo die Pilze für essbar hält und ebenfalls sammelt. Er macht ausserdem darauf aufmerksam, dass es noch viele weitere Pilze entlang der Geleise gäbe.
Doch Marcovaldo möchte dem Strassenfeger die Freude über den Fund vergellen und informiert die Wartenden an der Haltestelle über die Gratismahlzeit. Sie alle sammeln, stopfen die Pilze mangels Körbe in ihre Regenschirme und… leiden. Marcovaldo und der Strassenfeger liegen später mit vielen andern ausgerechnet nebeneinander mit einer leichten Vergiftung im Spital.