Nicht Reparationen, sondern gleich lange Spiesse

Wer sich eher oberflächlich mit der „Climate Change Conference“, der COP27 in Sharm el Sheikh beschäftigt hat, war möglicherweise etwas verwirrt. Schon vor der Konferenz forderten arme Länder Reparationszahlungen. Sie sind oft stärker von Extremwetter betroffen als die Industrienationen, die für einen Grossteil der CO2-Emissionen verantwortlich sind. Da scheint die Forderung nach Zahlungen für die Wiedergutmachung dieser Ungerechtigkeit verständlich. Doch viele mächtige Akteure, darunter die USA, wollten in dieser Form nichts davon wissen. Statt von Reparationen wurde später von einem „loss and damage fund“ gesprochen, einem Fonds für Verlust und Schaden. Und dann tauchte noch die sogenannte „Bridgetown Initiative“ am Horizont auf: Nicht Reparationen, sondern gleich lange Spiesse für arme Nationen am Finanzmarkt wurden gefordert – und diese Forderung findet Gehör. Darüber gleich mehr.

Schweiz in der Kritik

Im Vorfeld wurde übrigens auch die Schweiz kritisiert, die in diesen „armen“ Ländern Klimaprojekte unterstützt. Doch dafür wurde sie unter anderem von Vertreter*innen der Länder kritisiert, die bereits Projekte mit der Schweiz durchgeführt haben. Nun ist es zwar löblich, dass die Schweiz diese Länder bei Klimaprojekten unterstützt. Unschön dabei ist aber zweierlei: Diese Klimaverbesserungen schenken nicht in die Bilanz der unterstützten Länder ein, sondern in diejenige der Schweiz. Hinzukommt, dass die Schweiz ihr Potential im Inland, beispielsweise in den Bereichen Wärme (Heizungen), Mobilität (Verkehr) oder Energiegewinnung (erneuerbare Energien), noch lange nicht ausgeschöpft hat. Da muss sie es sich schon gefallen lassen, dass die reiche Schweiz für ihren Vorteil im Ablasshandel kritisiert wird.

Ich habe gehört, dass man sich die COPs wie eine grosse Messe vorstellen kann, in der die einzelnen Nationen mit Ständen und – ich nehme mal an – auch mit reichlich Greenwashing aufwarten. Aber das nette Bild einer „Landesausstellung“ täuscht. Die Themen Energie und Klimawandel sind aktuell wohl die grössten Schlachtfelder nach dem Krieg in der Ukraine. Die USA zumindest haben erfolgreich die Reparationszahlungen abgewendet. Es wurde neu ein „loss and damage fund“  vorgeschlagen für „vulnerable“, für verletzliche Nationen. Die genaue Ausgestaltung dieses Funds muss noch ausformuliert werden. Und ich kann mich erinnern gelesen zu haben, dass es keine obligatorischen Beiträge der Industrienationen geben soll, sondern freiwillige Einlagen. Damit ist die Schuld und Gerechtigkeitsfrage so gut wie vom Tisch. Ich persönlich fühle mich ausserdem mit dem Begriff „arme Nationen“ wohler, „vulnerabel“ erinnert mit zu sehr an die Corona Pandemie. Damals gab es keine Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit, wen das Virus krank machte. Mit der Klimakrise ist das anders.

Wie die Folgen des Klimawandels abwettern

Denn es geht doch eigentlich darum, dass arme Nationen für das „Abwettern“ der Folgen des Klimawandels in einem mehrfachen Nachteil sind. Sie leiden unter kaskadierenden Folgen des Klimawandels: Unwetter wechselt sich mit der nächsten Hitze, Trockenheit, Feuersbrunst usw. ab, noch bevor sich eine Nation von einer Katastrophe erholt hat und sich für die nächste vorbereiten konnte. Geschweige denn, dass sie finanziell wieder auf die Beine gekommen wäre.

Und hierzu gibt es nun eine kleine Sensation zu vermelden von der COP27. Auf die Initiative der Premierministerin des Inselstaates Barbados im Atlantik, Mia Mottley wurde ein Modell vorgestellt, dass armen Nationen bedeutend nachhaltiger helfen könnte. Barbados ist die letzten Jahre übrigens exakt in dieses Schema gefangen gewesen, auf Sturm folgt Sturm, ohne Unterlass, Aufbau- und Verschnaufpause. Und man stelle sich vor: Während Industrienationen Risikokapital für 1-4 % aufnehmen können, muss beispielsweise Nigeria wegen abgehobenen Risiko-Standards, ganze 12-14 % Zinsen berappen.

Nicht Reparationen, sondern gleich lange Spiesse für arme Nationen am Finanzmarkt

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden nach einer Konferenz von 44 Nationen in Bretton Woods zwei wichtige Finanzinstrumente für den Wiederaufbau von Europa installiert: die Weltbank und der Internationale Währungsfonds IWF. Die geschädigten Nationen haben von ihnen, wie wir alle sehen, profitiert. Doch heute hat sich die Lage fundamental verändert:
1. Die durch den Klimawandel Geschädigten umfasst eine grosse Gruppe von nicht-europäische Nationen (siehe Barbados).
2. Wie oben beschrieben, geht es nicht nur um eine lineare Phase des Wiederaufbaus, sondern um sich wiederholende Katastrophen.

Was die sogenannt vulnerablen Nationen also brauchen, sind gleich lange Spiesse am Finanzmarkt wie die Industrienationen, Darlehen und Zuschüsse zu vernünftigen Konditionen, inklusive der Möglichkeit, die Rückzahlung zu unterbrechen, wenn sie nicht unmittelbar möglich ist. Die Definition von Risiko einer Weltbank muss also fundamental überdacht werden.

Die Folgen wären positiv: Experten rechnen damit, dass bei einer finanziellen Absicherung durch die Weltbank, auch private Investoren finanzielle Mittel in Projekte mit armen Nationen einschiessen würden. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer Billion Dollar.

Übrigens 1: Diese Bridgetown-Initiative, die in Glasgow an der COP26 von Mia Mottley losgetreten wurde, entwickelt Zugkraft und Momentum. Dass arme Länder von bereits bestehenden Instrumenten profitieren könnten, die einfach noch reformiert werden müssten, das hat auch Politiker wie Macron oder Notenbankerin Janet Yellen aus den USA überzeugt.

Übrigens 2: Die „Architekten“ der Bridgetown Initiative, Mia Mottley und Avinash Persaud, haben beide in London an der School of Economics studiert und haben sich dort befreundet. Letzterer kennt die Finanzindustrie aus dem FF. Man hat sich diesen Sommer in einer grösseren Gruppe in Bridgetown auf Barbados getroffen und einen ersten Vorschlag diskutiert.

Bitte achten Sie sich also in Zukunft auf das Stichwort „Bridgetown Initiative“. Hier wird gerade Geschichte gemacht. Und was für ein Hebel dies für rund 110 Nationen werden könnte, die zu den ärmsten gehören.

About the Author
Seit Dezember 2020 veröffentlicht Claudia Acklin alle drei Wochen eine Episode ihres Podcasts. "Nature and the city - Die Natur und Stadt" beschäftigt sich mit Stadtökologie, Biodiversität und dem Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die Stadtbewohner. - Claudia Acklin studierte Designmanagement, Sozialpädagogik und Journalismus und arbeitete mehr als 12 Jahre als Journalistin und Dokumentarfilmerin. Bis 2015 war sie hauptsächlich im Bildungs- und Forschungsbereich tätig und entwickelte neue Studiengänge wie den BA Design Management, International (DMI) oder eine Forschungsgruppe zu Design Management und Design Innovation an der Hochschule Luzern - Design & Kunst. Sie ist Gründungsmitglied des Vereins "Swiss Design Transfer", einem regionalen Zentrum für Designpromotion und -unterstützung für KMU. Und sie war die Gründerin und erste Geschäftsführerin des Creative Hub, einer Plattform zur Unterstützung von Start-ups im Schweizer Designsektor. Sie hat einen Doktortitel in Design von der Lancaster University/Imagination mit besonderem Schwerpunkt auf Innovation und Designmanagement. Von 2016 bis Mitte 2022 war sie die Leiterin der Geschäftsstelle der ausserparlamentarischen Kommission Schweizerischer Wissenschaftsrat SWR: **************** Since December 2020, Claudia Acklin publishes an episode of a podcast every three week. "Nature and the city" deals with urban ecology, biodiversity and climate change and the implications of the latter for citizens living in cities. - Claudia Acklin studied design management, social pedagogy and journalism; she worked for more than 12 years as a journalist and documentary filmmaker. Until 2015, she has mainly been working in the educational and research field and developed new study programmes such as the BA Design Management, International (DMI) at Lucerne School of Art and Design or a research group on design management and design innovation. She also is a founding member of the association “Swiss Design Transfer”, a regional centre for design promotion and support for SMEs. And she was the founder and first managing director of the Creative Hub, a platform to support start-ups of the Swiss design sector. She holds a PhD in design from Lancaster University/Imagination with a special focus on innovation and design management. From 2016 until mid 2022 she was the head of the secretariat of the extra-parliamentary commission Swiss Science Council SSC.

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