
Junge Menschen leiden unter Öko-Angst (Bild: Canva)
Vor kurzem sagt ein 27-jähriger Mitarbeiter zu mir: „Zum Glück bin ich erwachsen. Ich weiss nicht, wie ich als 16-Jähriger den Krieg in der Ukraine hätte verarbeiten können.“ Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das für jungen Menschen sein muss. In der Bemerkung des jungen Historikers schwingt auch mit: Je älter man ist, desto stärker sind unsere analytischen Fähigkeiten ausgeprägt und wir können den aktuellen Wahnsinn teilweise auch einordnen. Die „Intellektualisierung“ von Bedrohlichem ist auch ein erprobtes Mittel, um nicht von unseren Emotionen überschwemmt zu werden. Das kann jedoch soweit gehen, dass wir damit Gefühle unterdrücken. Das sollten wir gerade in Bezug auf den Ukraine-Krieg nicht tun, denn dies würde unsere Fähigkeit mit den Opfern mitzufühlen entschieden schmälern. – Wie ist das eigentlich mit einer andern Krise, dies uns übrigens schon seit Jahrzehnten begleitet, wie der Klimawandel und der Verlust der Biodiversität (mehr dazu hier). Diese kann man natürlich auch intellektualisieren? Aber vor allem junge Menschen leiden unter Öko-Angst.
Ich versuche mich daran zu erinnern, wie es er mir mit 16 Jahren erging und – ja – natürlich hatte ich Angst und war in vielerlei Hinsicht von meinen Gefühlen (und Hormonen!) dominiert. Aber im Unterschied zu heute, hatte ich eine Vorstellung, wogegen bzw. wofür es sich zu kämpfen lohnt. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich und meine Freund*innen eine reelle Chance. Für Jugendliche, die mit Klimawandel, Corona und nun einem Krieg auf europäischem Gebiet konfrontiert sind, muss es unendlich viel schwieriger sein. 40 Prozent der Jungen geben in einer Studie an, dass sie es sich überlegen, ob sie Kinder in diese Welt setzen wollen. In der medizinischen Fachzeitschrift Lancet ist offenbar zu lesen, dass sich von den jungen Menschen zwischen 16 und 25 Jahren aus zehn verschiedenen Ländern, Dreiviertel ängstigen und Angst vor der Zukunft haben. Sie fühlen sich betrogen durch die älteren Generationen oder durch Führungspersonen. Sie haben das Gefühl, als könnten sie nur hilflos zusehen.
Zukunftskrise
Ich lese darüber, dass der französische Philosoph Edgar Morin 1999 den Begriff der „Zukunftskrise“ geprägt hat. Wir leben in einer Welt mit wenigen positiven Zukunftsbildern. Im Gegenteil. Wir werden in der Populärkultur – und ich nehme hier der Einfachheit halber stellvertretend Netflix – förmlich überschwemmt von negativen Utopien und Bildern. Kennen Sie die Serie „Snowpiercer“? Es ist dies die Geschichte einer kleinen Gruppe von Überlebenden einer Klimakatastrophe, die sich in rund 1000 Eisenbahnwagen, in einem permanent fahrenden Zug durch zugefrorene Landschaften einen veritablen Klassenkampf liefert… Ausserhalb des Zuges ist alles zugefroren, vereist.
Die Krise der Zukunft, der Mangel an positiven Utopien und Visionen, hat für das gesellschaftliche und das menschliche Fortbestehen schlechthin weitreichende Folgen. Nicht nur junge, verletzliche Menschen verlieren die Lebenslust, auch vielen Erwachsenen ging es etwa während einer andern Krise, der Corona-Pandemie ebenso. Manche mögen sich vielleicht an den Begriff des „languishing“ erinnern, der durch die Artikel der New York Times geisterte und später auch von Schweizer Zeitungen aufgegriffen wurde. Languishing ist sozusagen eine milde, aber insistente Form der Langeweile und Depression. Man konnte sich während der Pandemie zu nichts aufraffen, sass schlecht gekämmt, unrasiert und gekleidett und lustlos in elend langen Zoom-Konferenzen und entwickelte eine ebenso insistente wabblige Mitte.
Eco Anxiety – Öko-Angst
Bedeutend stärker sind jedoch die Symptome, die unter den Begriffen „Eco Anxiety“ zusammengefasst werden. Vor 10 Jahren wurde die sogenannte „Eco Psychology“ noch mit Skepsis empfangen. Doch mittlerweile gibt es in den USA bereits Psychologen, die für die Behandlung dieses Krankheitsbildes spezialisiert sind. Jugendliche und Erwachsene fühlen sich getrieben von den vielen schlechten Nachrichten, leiden unter Panikattacken oder tiefer Depression. Menschen sorgen sich beispielsweise um die eigene Familie, um die die Zukunft ihrer Kinder, entwickeln ein nagendes schlechtes Gewissen, dass Sue mit ihrem eigenen Lebensstil zur Verschärfung des Klimawandels beitragen.
Das psychologische Problem ist gross. Aber es wäre für mich schwer nachvollziehbar, wenn jemand angesichts der Hochwasser-Opfer in Deutschland, der Feuersbrünste in den USA oder der Hurrikans und Stürme, sich nicht ohnmächtig oder schuldig fühlen würde. Weil die Grösse der Ereignisse auch immer wieder von Neuen vermitteln, dass der Einzelne wenige konkrete Handlungsoptionen zur Verfügung hat. Beim Klimawandel geht es nicht nur um individuelles Schicksal, für das man durch Therapie Abhilfe schaffen könnte, sondern um eine kollektive, sich zusehends verschärfende Notsituation. Mit Schicksalsschlägen, so weiss ich noch aus dem Schulunterricht, werfen die Götter nach den Menschen. Sie sind unabwendbar und deshalb tragisch. Der Klimawandel hingegen ist menschengemacht. Darum fragen sich amerikanische Psychologen auch zurecht, ob traditionelle Therapieansätze gegen Öko-Angst überhaupt greifen…
Und übrigens: Indigene Völker verlieren überproportional stark ihre natürlichen Lebensgrundlagen; arme Menschen leben in Quartieren, die eher durch Industrie und andere Infrastrukturen belastet sind; Landwirte (und damit auch wir alle!) sind von Extremwetter besonders betroffen… Wir können uns nicht mal vorstellen, durch welche ökologischen, wirtschaftlichen und persönliche Krisen diese Menschen gehen.
Alles war wir retten können
Aus der Psychologie wissen wir aber auch, dass es jenen Personen besser geht, die im Angesicht von Krisen wie beispielsweise einer schweren Erkrankung handlungsfähig bleiben und sei es nur im Kleinen. Darum möchte ich hier das Projekt „All you can save“ erwähnen, in dem Frauen andern Frauen Mittel und Möglichkeiten zur Verfügung stellen, sowohl die eigene Angst und Trauer wahrzunehmen, auszudrücken, zu teilen als auch sich in gemeinsam entwickelten Lösungen zu engagieren. Eine der Personen hinter dem Projekt, Katherine K. Wilkinson macht deutlich, dass die Klima- auch eine Führungskrise ist. Hier eine kleine Liste, die sie in einem Zeitungsartikel erwähnt hat und dich noch etwas ausgebaut habe:
- Deinvestieren: Investionen aus Umweltsündern zurückziehen. Das gilt für Fonds und Aktien. Aber im Moment gilt es für Hausbesitzer*innen besonders, sich von Öl und Gas deinvestieren.
- Lebensstil überprüfenProdukte nicht mehr kaufen, die nicht nachhaltig produziert und konsumiert werden können.
- Leadership zeigen: Dort, wo man ist, im eigenen Unternehmen, an der eigenen Universität, an der eigenen Schule, am eigenen Arbeitsplatz Strukturen, Prozesse und Praktiken ändern, die nicht nachhaltig sind.
- Die richtigen Politiker*innen wählen bzw. die falschen abwählen.
Und hier zum Schluss ein Beispiel für die Fähigkeit, trotz dem Klimanotstand handlungsfähig zu bleiben. (Leider nicht übersetzt.)
Why Write Love Poetry in a Burning World (Katie Farris)
To train myself to find, in the midst of hell
what isn’t hell.
The body, bald, cancerous, but still
beautiful enough to
imagine living the body
washing the body
replacing a loose front
porch step the body chewing
what it takes to keep a body
going—
this scene has a tune
a language I can read
this scene has a door
I cannot close I stand
within its wedge
I stand within its shield
Why write love poetry in a burning world?
To train myself, in the midst of a burning world,
to offer poems of love to a burning world.