
Der Begriff ist für mein Gehör ein Unwort: ökologische Infrastruktur… Er ist mir zu technisch. Aber auf dem politischen Parket ist er wichtig und versucht den Verlust der Biodiversität als Folge des Klimawandels und der Übernutzung der natürlichen Ressourcen in den Griff zu bekommen, indem eine bestimmte Fläche zu deren Erhalt definiert wird. Diese Flächen sind unerlässlich. Neu aber ist, dass indigene Völker als Wächter der ökologischen Infrastruktur (wieder) eingesetzt werden.
Ökologische Infrastruktur
Es geht also um mehr als um Zahlenhuberei. Es geht um die politischen Implikationen dieser Zahl und um die Tatsache, dass so gut wie alle Nationen die Erreichung der Aichi-Biodiversitätsziele verpasst haben. Es ist also höchste Zeit: Denn die ökologische Infrastruktur soll die Biodiversität aufrecht erhalten, um beispielsweise die Nahrungssicherheit auf unserem Planeten sicherzustellen. Diese Flächen – 30% zu Wasser und 30% zu Land – sollen nicht bebaut, befischt, bejagt, gerodet oder es soll nicht nach Mineralien oder andern Rohstoffen gebohrt werden.
Über diese Flächen wird an internationalen Konferenzen diskutiert. Nach Glasgow findet die COP 27 (United Nations Framework Convention on Climate Change, Conference of Parties) im November 2022 im ägyptischen Scharm asch-Schaich statt. (Unsere Bundesrätin Simonetta Somaruga möchte eine der zukünftigen Konferenzen gerne in der Schweiz abhalten.)
Indigene Völker als Wächter im Regenwald
Selten am Tisch grosser Konferenzen sitzen jedoch die indigenen Völker, die in Urwäldern wie in jenen des Amazonas, in Asien, Australien oder Südamerika leben. Und dies obwohl die Situation in diesen „Infrastrukturen“ teilweise dramatisch ist. Der Regenwald steuert im Moment noch einen erheblichen Beitrag zu den 30% Landfläche bei. Dennoch sind diese Landreserven durch illegale Rodungen unter Druck. In Brasilien wurde einer dieser Wälder in die Obhut der Uru Eu Wau Wau gegeben. Doch Holzfäller und Soya-Anbauerinnen machen an deren Grenzen nicht Halt. Selbst wenn dieser Stamm den Wald handfest und mit Giftpfeilen verteidigt. Im Jahr 2019 sind im Amazonas 46 Personen getötet worden, viele davon waren indigene Wächter.
Diese Völker in Südamerika, Australien, Asien oder Nordamerika haben diese Regionen in der Vergangenheit nachhaltig bewirtschaftet und wegen der geringen Zahl an Stammesangehörigen tun sie dies auch heute noch. Sie ernten so viel, wie sie für ihr Auskommen benötigen. Sie sind keine Park Ranger, die unerwünschte Einflüsse zu verhindern suchen, sondern Menschen, die ihren Lebensraum für ihre Bedürfnisse nutzen und, als willkommener Nebeneffekt, verjüngen. Würde man Wälder sich selbst überlassen, würden Monokulturen entstehen. Studien konnten hingegen beweisen, dass durch indigene Völker nachhaltig und schonend bewirtschaftete Flächen genauso biodivers sein können wie diejenigen von Nationalparks.
Naturschutz versus nachhaltiges Leben und Wirtschaften in der Natur
Einer der ältesten Nationalparks der USA im Yellowstone-Gebiet wurde 1895 gegründet, u.a. mit dem „Nebeneffekt“, dass die Indianer*innen daraus vertrieben wurden. In Amerika nennt man dieses Konzept von Naturschutz, das sämtliche menschliche Einflüsse zu minimieren versucht, „fortress conversation“, Naturschutz, der eine hohe unüberwindbare Mauer um die Tier- und Pflanzenwelt zieht. Eine amerikanische Wissenschaftlerin nennt die Art, wie damals Nationalparks auf dem Reissbrett definiert wurden, die Folge des letzten Stadiums des Kolonialismus. Davon wissen jene indigenen Völker zu berichten, die im Rahmen der Kolonisierung just aus jenen Zonen vertrieben wurden, die heute für die ökologische Infrastruktur wichtig sind.
In den letzten Jahren sieht man in Brasilien nun den Nutzen, den indigene Völker stiften können, wenn sie etwa im Amazonas ihre Wälder selbst bewirtschaften und gleichzeitig bewachen. Auch der Yellowstone Park wurde in die Obhut der Cheyenne gegeben, die unter anderem ein Programm zum Schutz der Grizzlybären gestartet und Bisons wieder angesiedelt haben. Oder an der Westküste, fünf Stunden nördlich von San Francisco, wurden Waldstücke mit Redwoods zurückgekauft und den dortigen Sinkyone gegeben. Damit erhalten einige indigene Völker nicht nur das Recht zurück, die Wälder nachhaltig zu nutzen, sie besitzen auch wieder die Ländereien ihrer Ahninnen und Ahnen. Die Sinkyone haben den Wald neu in ihrer Sprache benannt.
Anders als die ökologische Infrastruktur nur zu bewachen, nehmen indigene Wächter*innen ihre Verwaltungsaufgabe vermutlich in vielschichtiger Weise wahr: Sie bringen traditionelles Wissen mit und das Bedürfnis, an ihrem Erbe anzuknüpfen.