
Ist die Biodiversität in die Landwirtschaftspolitik genügend integriert?
Unlängst war ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Geschäftsleiterin des Schweizerischen Wissenschaftsrats mit meiner Präsidentin und meiner Kollegin in einer parlamentarischen Kommission zu Gast. Diese Art von Einladungen sind selten. Umso erfreuter und dankbarer sind wir, wenn wir die Gelegenheit erhalten, mit einer Gruppe von FachpolitikerInnen zu sprechen. Es ging um die Verarbeitung der Corona-Pandemie und um den Beitrag der Wissenschaft dazu. Die Atmosphäre war entspannt, das Interesse für unsere Präsentation vorhanden und die Fragen der Parlamentarier:innen gut. Danach konnten wir uns kurz mit einigen Politiker:innen im Bundeshaus unterhalten. Dabei kam die Frage auf, was getan werden müsste, um Parlamentarier:innen regelmässig für die Arbeit und die Resultate von Wissenschaftler:innen zu interessieren… Wir diskutierten, ganz unverbindlich, und dann stand für die Politiker:innen das nächste Geschäft an und für uns ein Workshop mit Kolleg:innen. Kurz: Wir hatten keine bahnbrechenden Ideen gewälzt, sondern uns gegenseitig unseres „Goodwills“ versichert.
Integration der Biodiversiät in die Politik
Vor einigen Tagen stolpere ich über ein neues wissenschaftliches Papier, das für den Zeitraum von 19 Jahren untersucht, wie viel Aufmerksamkeit der Biodiversität in sogenannten sektoriellen Politiken zukommt. Das sind in diesem konkreten Fall beispielsweise die Raumplanung, die Landwirtschaftspolitik usw. Die Autor:innen ziehen folgendes Fazit: „Die Integration der biologischen Vielfalt – wenn sie denn überhaupt stattfindet – erfolgt eher in Zyklen als in stetigen langfristigen Veränderungen. Dies bedeutet, dass die Erhaltung der biologischen Vielfalt nicht dem sektorenübergreifenden Charakter des Problems folgt, sondern der Dynamik der ‚Politik‘ unterliegt, bei der sich die Akteure aufgrund begrenzter Ressourcen nur für eine bestimmte Zeit mit (Aspekten) eines Themas beschäftigen.“
Man tut Politiker:innen gerne als eitel und selbstverliebt ab, die bei Apéro und Weisswein mit ihrer Wählerschaft schwatzen. Das tun sie vielleicht auch. Aber die oben genannte Erklärung, dass sie vermutlich nicht die Zeit haben, sich den Details und der Komplexität eines Themas wie des Verlusts der Biodiversität zu widmen, stimmt wohl genauso. Diese Erklärung kann aber nicht darüber hinweg trösten, dass es sich beim Verlust der Biodiversität um eines der grundlegendsten Themen unserer Zeit handelt und dass sie deshalb auch die gebührende Aufmerksamkeit erhalten sollte.
Aufmerksamkeit für Biodiversität
Wie gesagt, das oben genannte wissenschaftliche Papier belegt, dass die Aufmerksamkeit für dieses Thema in den letzten Jahren nicht gestiegen ist. Das Thema taucht nur periodisch bzw. zyklisch wieder auf. Vermutlich dann, wenn es irgendwo tagespolitisch brennt. Wenn erschwerend hinzu kommt, dass sich ein Themenbereich wie die Biodiversität nicht einfach in einer Politik abhandeln lässt, er verschiedene Sektoren, Politiken und Departemente umspannt, dann fällt er erst recht aus der Agenda. Dass man sich über Departemente hinweg verständigt und systemische Themen auch systemisch zu lösen versucht, ist eher die Ausnahme als die Regel…
Wenn ich hier nochmals ein Beispiel aus meiner Arbeit erzählen darf: Ich habe als Designforscherin mit einer Luzerner Firma zusammengearbeitet, die ein Gerät entwickelt hat, um aus Biomasse (Häcksel, Laub, Geflügelfedern, Pferdemist usw.) Pellets zu produzieren. Man hatte einen Weg gefunden, aus Abfällen eine Energiequelle zu machen. Und selbst die Asche aus den Pellets konnte am Ende als Dünger eingesetzt werden. Damals scheiterte die Markteinführung der Maschine an der Tatsache, dass verschiedene Departemente verschiedene Logiken und Verordnungen hatten. Das Verbrennen von Pellets aus Pferdemist war untersagt, weil letzterer rechtlich als Abfall gilt und weil damit öffentlich betriebene Verbrennungsanlagen beauftragt werden. Denn es sind für die Verbrennung von Abfall ganz spezielle Filter notwendig. Aber selbst wenn ein Bauer einen solchen Ofen besässe, dürfte er den Abfall nicht als Energiequelle nutzen, der auf seinem Hof entstanden ist.
Mehr Zusammenarbeit über Sektoren hinweg
Ich möchte hier nicht behaupten, dass meine persönliche Erfahrung, die Ergebnisse der erwähnten Studie exakt illustriert. Ich pendle in diesem Beitrag eher zwischen den Ergebnissen der Forschenden und meinen persönlichen Gedanken hin und her. Aber was wäre, wenn sektorielle Politiken dem Gegenstand gerecht würden, mit dem sie sich beschäftigen?
Was sagt die Studie dazu: „Um dem Verlust (der Biodiversität, meine Anmerkung) entgegenzuwirken und die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern, wird in der Literatur zur Integration der biologischen Vielfalt argumentiert, dass koordinierte Arbeiten und Maßnahmen mit anderen Sektoren wie Landwirtschaft, Raumplanung, Landschaftsschutz, Wohnungsbau, Energie oder Handel erforderlich sind.“ Dies findet jedoch in der Schweizer Politik selten statt: „Wie unsere Ergebnisse zeigen, findet die Biodiversität in kritischen Politikbereichen wie Wirtschaftspolitik, Verkehr, Energie oder Raumplanung kaum Beachtung.“
Wie schon gesagt: Der Dringlichkeit der Integration von Biodiversität wird in der Politik nicht Rechnung getragen. Das kann sich ändern, wenn dem Thema nicht nur mehr Aufmerksamkeit in der Politik entgegengebracht wird, sondern wenn zwei oder mehrere Departemente offen Innovationen und für gemeinsame Lösung sind.
Und hier geht’s zu einem Bericht, in dem das oben genannte Designforschungsprojekt erwähnt wird.