
Dass die Städte bis 2050 weiterwachsen und rund 50% der Weltbevölkerung aufnehmen werden, habe ich auf dieser Webseite oder in meinem Podcast schon ab und zu erwähnt. Der Druck auf die Städte und die Natur darin, wird dadurch höher und höher. Nun lese ich in einer repräsentativen Umfrage: Die Bevölkerung möchte eine Naturstadt, eine Stadt, in der die Natur integriert und weiterentwickelt wird.
Interessenskonflikte in den Städten
Ich kann dem nur zustimmen. Ich selbst bin eine Stadtbewohnerin und – trotz vieler guter Erlebnisse und Erinnerungen an dem Bauernhof meines Grossvaters – den Städten sehr verbunden, in denen ich bisher gelebt habe. Ich liebe es in die städtische Kunst und Kultur eingebettet zu sein, den Puls der Zeit zu spüren und die Dringlichkeit zentraler gesellschaftlicher Probleme, die oft damit verbunden ist. Als ehemalige Journalistin und aktuell Podcasterin bin ich eine „Chronistin der Gegenwart“, wie es mir mal eine „weise alte Frau“ gesagt hat. Und weil ich in der Landeshauptstadt der Schweiz lebe, heisst dies auch, dass ich Politik mehr oder minder nah erlebe, auch in Form von grossen Demonstration wie unlängst gegen den Krieg in der Ukraine.
Ganz grundsätzlich sind Städte wegen ihrer Dynamik oft Gegenstand von Studien. Unlängst ist mir die Broschüre „Sophia 2021 – Die Städte im Zentrum des Wandels“ des Forums des 100 aufs Pult geflattert. Die Autor*innen befragen regelmässig in repräsentativen Umfragen sowohl Personen aus der Schweizer Bevölkerung, aus allen drei Sprachregionen, und Politiker*innen und Vertreter*innen der Verwaltung, sogenannte „Leader“. Dies zu Themen des Image der Stadt und deren Prioritätensetzung, der Governance, der Raumplanung, der Heausforderungen des Klimawandels oder der Stadt als Lebensraum.
Die Stadt – und die Natur darin – muss vielen Bedürfnissen gerecht werden. Bürger*innen müssen permanent Interessenskonflikte aushalten und mit den oft unsteten politischen Allianzen von sich wiedersprechenden Parteien leben. Jede Partei hat andere Prioritäten und Vorstellungen von der Stadt.
Stadtmodelle im Vergleich
Die Studie stellt folgende Stadtmodelle einander gegenüber und fragt danach, welche am höchsten bewertet werden:
– die Naturstadt,
– die Stadt der kurzen Wege,
– die vernetzte oder intelligente Stadt (also die sog. „smart city“),
– die kollaborative Stadt,
– die selbstversorgende Stadt und
– die difffuse Stadt.
Im Vergleich schneidet die Naturstadt sowohl bei den Bürger*innen wie bei den „Leadern“ am besten ab, dicht gefolgt von der Stadt der kurzen Wege und der vernetzten Stadt. Vor allem die Linke wünscht sich aber auch eine selbstversorgende und kollaborative Stadt, eine Stadt, in der Bürger*innen am Entscheidungsprozessen teilnehmen können.
Interessant finde ich die Diskrepanz zwischen Bevölkerung und Leadern in der Beantwortung der Frage, wie sich die Städte in den kommenden 10-15 Jahren entwickeln werden. Während nur gerade 26% der Stadtbewohner*innen glauben, dass es sich in der Zukunt angenehmer in der Stadt leben lässt, glauben 46% der Leader an eine „strahlende“ Zukunft der Zentren. Die Romands und die Tessiner*innen darunter sind sogar noch einen Zacken optimistischer. Unter den Vertreter*innen der Bevölkerung meint jedoch jede/r Vierte, dass die Lebensqualität eher sinken wird.
Wie lässt sich dieser Unterschied erklären? – Meiner Meinung nach erleben sich Politiker*innen eher als die Bevölkerung als selbstwirksam und trauen sich deshalb zu, die Verhältnisse zum Besseren zu verändern. Vielleicht sind sie aber auch nur überzeugt von ihrer eigenen „Propaganda“. In der Studie wird ebenfalls sichtbar, dass die Leader gerne in mittelgrossen Städten wohnen würden – und dies vermutlich auch tun -, während doch 34% der Bevölkerung gerne auf dem Land leben würden.
Zufriedenheit doch gross
Zur Frage, ob sie allgemein zufrieden sind mit der Gemeinde, in der sie aktuell leben, antworten mit 51% der Leader mit „ja, vollkommen zufrieden“, während der Grossteil der Bevölkerung mit 45% mit „ja, eher zufrieden“ votieren. Es sind dies nicht grosse Differenzen, die dieser Vergleich zu Tage fördert. Die Städter*innen wünschen sich zwar eine Naturstadt, sind aber mit der aktuellen Situation weitgehend zufrieden. Dazu passt wohl auch dieses Ergebnis: In geringem Masse können sie es sich vorstellen, mit ihren Nachbarn Installationen zur Produktion von erneuerbarer Energie oder einen Gemüse- und Obstgarten zu teilen. Doch die Bereitschaft zu teilen, hält sich in Grenzen bei der Bevölkerung (und ist bei den Leader höher!):
Das kleine Fazit, das ich für mich ziehe: Die Leader dürfen gerne mit Begeisterung und Optimismus voran gehen, so lange der Abstand zur Bevölkerung nicht so gross wird, dass Wunsch und Wirklichkeit der Städte auseinanderklaffen.