
Unlängst besuchte ich mit einer Freundin und ihrem charmanten Rauhaardackel Jimmy die Aareschlucht. Jimmy, der mich aus sanften braunen Augen unter seinen Wimpern hindurch von unten her musterte, war zunächst etwas irritiert. Er mochte die Holzstege nicht, die entlang der durch die Aare tief eingeschnittenen Felswände verlaufen. Mit der Zeit bemerkte ich, dass sich selbst die menschlichen Besucher und Besucherinnen der Schlucht beim Kreuzen auf dem Steg ängstlich an die Felswand drückten… Niemanden wird der Spaziergang durch die Kargheit und Schönheit dieser Wildnis aus Wasser und Berg kalt lassen. Mein Körper begann auf der kurzen Strecke förmlich zu vibrieren. Das ist nicht der Ursprung der Aare, aber eine der eindrücklichsten Abschnitte ihres Flusslaufs. – Doch was sind die Zukunftsaussichten, die Klimaszenarien für Gewässer wie die Aare?
Wildnis in der Aareschlucht
Ich habe mich in den letzten Monaten immer wieder mit der Aare beschäftigt und begrüsse sie in ihrer Schlucht wie eine alte Freundin. Ich erlebe wie begeistert, spielerisch, ja fast schon glückselig die Aare in diesem Flussabschnitt wirkt – in dieser Rinne durch einen Kalkriegel, wie ich eingangs über die Geologie dieser Schlucht lese. Hier donnert das Wasser, es sprudelt und gurgelt so lustvoll, als würde sich ein eingespieltes Paar begegnen: die Aare und der Fels. Seit Jahrtausenden begrenzt der Berg den Lauf der Aare, gibt ihr damit Widerstand, fast schon eine „raison d’être“ und revanchiert sich der Fluss durch seine stete Bearbeitung des Felsen, der als Geröll und Sand ins Flachland gelangt. Die Aare ist die Gestalterin von Landschaften und ich kann nicht umhin das Resultat dieser Beziehung von Fluss und Berg zu bewundern.
Klimaszenarien für die Schweizer Gewässer
Ich geniesse den Spaziergang mit der Freundin und mit Jimmy. Doch wie so oft frage ich mich auch besorgt, wie es um die Flüsse und Seen steht und wie sie sich durch den Klimawandel und andere menschliche Einwirkungen verändert. In der Bahn hin und zurück nach Meiringen habe ich den Hydro CH2018-Synthesebericht des Bundes dabei. Ich möchte verstehen, was die Auswirkungen des Klimawandels auf Grundwasser, Flüsse und Seen sind. Es kommt nicht überraschend, dass die Szenarien selbst für das Wasserschloss Schweiz Schwierigkeiten vorhersagen. In andern Ländern Europas wie Portugal, Spanien oder Italien versiegen die Flüsse bereits. In diesem Zusammenhang fand ich eine Geschichte des Tagesanzeiger-Korrespondenten Oliver Meiler besonders interessant, der beschreibt, wie der Präsident der Grünen Partei Italiens, einige Steine aus dem Flussbett in seiner Nähe mit ins Parlament, zum Monte Citorio mitnimmt, um mit ihnen zu bezeugen, dass sein Fluss eine solche Trockenheit im März noch nie erlebt hat. (Worauf das Staatsoberhaupt Meloni erwidert haben soll: „Onorevole, Abgeordneter, wollen Sie etwa behaupten, dass ich auch an der Trockenheit schuld bin? Ich bin nicht Moses. “)
Was habe ich denn nun gelernt in den rund zwei Stunden Zugfahrt?
Der Hydro CH2018 Bericht beschäftigt sich mit dem Wasserhaushalt, der Gewässerökologie, dem Hochwasserschutz, der Wassernutzung und dem Gewässerschutz. Und dies sind die wichtigsten Resultate aus dem Bericht.
1. Gletscher und Schnee als Speicher fallen zunehmend weg
„Ohne Klimaschutz werden die Gletscher der Alpen bis Ende des Jahrhunderts rund 95 % ihres heutigen Volumens verlieren. In Zukunft wird mehr Regen als Schnee fallen. Das Schmelzwasser aus Schnee und Gletschern wird dann im Sommer im Abfluss fehlen – die Sommerabflüsse gehen zurück und die Winterabflüsse nehmen zu.“ – Kurz: Die Winter werden nässer, die Sommer trockener. Eine Kostprobe davon haben wir in den letzten Jahren bereits erlebt. In gewissen Regionen wurde es bereits knapp mit dem Wasser. Ausgerechnet dann, als es in der Landwirtschaft am meisten gebraucht wurde.
2. Zum knapper werdenden Gut müssen wir nun schauen
Der Bericht führt aus, dass es in Zukunft immer wichtiger werden wird, die Wasserressourcen integral für alle Bedürfnisse und für ein gesamtes Einzugsgebiet zu bewirtschaften, auch mit Augenmerk auf die Wasserqualität und die Reduktion der Stoffeinträge. Die sogenannten Stoffeinträge kommen aus der Landwirtschaft, beispielsweise in Form von Gülle – siehe dazu unten mehr. Aber auch wir Menschen tragen zur Verschmutzung bei, etwa indem wir Antibiotika, Hormone, usw. ausscheiden, die wir mit unserem Brauchwasser in die Kanalisation spülen.
3. Schlechte Nachrichten für die Wasserkraft und den Tourismus
Die Produktion von Elektrizität aus Wasserkraft oder der Tourismus müssen sich auf die klimabedingten Veränderungen einstellen. Da wärmere Luft mehr Wasser aufnehmen kann, haben die Häufigkeit und Intensität von Starkniederschlägen in der Schweiz seit Messbeginn bereits deutlich zugenommen. Mehr und extremer Regen bewirken mehr Oberflächenabfluss und lokale Hochwasser. Und sie werden es laut den Klimaszenarien weiter tun. Wenn der Schnee weniger wird, dann kommen viele Wintersport-Destinationen in den Bergen unter Druck. Und ich kann mich an eine Kollegin aus Luzern erinnern, die mir sagte, sie habe oft ein schlechtes Gewissen gegenüber den vielen Touristen, die in ihre Stadt kommen, weil es dort häufig neblig und regnerisch ist.
4. Weniger Grundwasser wird neu gebildet
„Bei einem Szenario ohne Klimaschutz würde der Gesamtabfluss aus der Schweiz bis Ende Jahrhundert leicht zurückgehen. Die Gesamtmenge des Grundwassers verändert sich kaum, aber die Grundwasserneubildung wird im Winter zu- und im Sommer abnehmen“, ist im Bericht zu lesen.
5. Flüsse und Seen werden wärmer
Ebenso wissen die Autorinnen des Berichts, dass die Jahresmitteltemperaturen der Fliessgewässer und Seen in den letzten Jahrzehnten bereits stark gestiegen ist. Sie sagen voraus, dass die hydrologischen Szenarien bis Ende Jahrhundert einen weiteren deutlichen Anstieg zeigen. Der Anstieg sei im Sommer besonders gross und für Wasserlebewesen würden kritische Temperaturen häufiger überschritten. „Der Temperaturanstieg in Seen verändert zudem deren Mischungsverhalten und kann grosse Auswirkungen auf die Seeökosysteme haben. Das Grundwasser reagiert langsamer auf den Klimawandel, aber auch hier werden die Temperaturen steigen.“
6. Ökosysteme kommen unter Druck
Neben dem Klimawandel tragen verschiedene anthropogene Stressfaktoren wie Verbauungen, chemische Verunreinigungen oder Veränderungen der Abflussdynamiken durch die Wasserkraft zur Bedrohung der Ökosysteme bei. Fische und andere Lebewesen sind „wechselwarm“ und können sich nicht ohne Weiteres an höhere Wassertemperaturen anpassen. Ausserdem würden klimabedingte Veränderungen wie das Trockenfallen von Fliessgewässerabschnitten oder veränderte Schichtungsverhältnisse in Seen das Gleichgewicht von Ökosystemen empfindlich stören. Darum ist die Renaturierung von Flüssen so wichtig. Denn „naturnahe Gewässer haben eine höhere Widerstands- und Anpassungsfähigkeit gegenüber den Einflüssen des Klimawandels.“ Und um die Ökosystem zu schützen braucht es die zuvor schon erwähnte Reduktion der Stoffeinträge durch die Landwirtschaft und die Menschen allgemein.
Seen belüften ist keine Lösung
Der Bericht tönt den sogenannten anthropogenen Stoffeintrag von Umweltgiften wie Stichstoff, Phosphor bereits an. Aber die Situation einzelner Seen wie der Zuger-, der Baldegger- oder der Sempachersee ist mittlerweile dramatisch. Ihnen muss künstlich Sauerstoff hinzugefügt werden, sie müssen also belüftet werden wegen der hohen Phosphor- und Stickstoffbelastungen. Diese Stoffe fliessen den Seen durch die Gülle zu. Gülle entsteht in der Viehzucht u.a. im Rahmen der Fleischproduktion. Und davon gibt es in der Schweiz von beidem schlicht und ergreifend zu viel. Die Ökosysteme der Seen zahlen die Rechnung. Aber seien wir nicht blauäugig: Wir alle sind von qualitativ gutem Wasser abhängig. Oder wollen wir für die Umweltverschmutzung unsere Gesundheit opfern?
Verantwortung für das Wasserschloss tragen
Was bedeuten nun all diese Erkenntnisse für die Aareschlucht? – Mit meinem Laienverständnis würde ich sagen: Das Wasser wird in der Schlucht nur zeitweise so fröhlich donnern und gurgeln wie bei meinem Besucht letzthin. Denn weder Gletscher noch Schnee sorgen für einen kontinuierlichen Abfluss im Frühling, wenn die Temperaturen höher werden. Die Schlucht wird mal voller, mal trockener sein als noch heute.
Ich habe unlängst einen Blog-Beitrag darüber geschrieben, dass wir die Ressource Wasser für selbstverständlich halten. Was für ein gigantischer Irrtum. Erst Wasser ermöglicht Leben und hält es aufrecht. Wir dürfen diese Tatsache nie vergessen. Und zum Schluss noch folgendes: Die Schweiz ist das Wasserschloss Europas. Vier unserer Flüsse fliessen ganz demokratisch zu vier unserer unmittelbaren Nachbarn und von dort in die Meere: der Tessin fliesst nach Italien, die Rhone nach Frankreich, der Rhein nach Deutschland und der Inn nach Österreich. Wir haben im Moment noch einen strategischen Vorteil, der uns aus der Geographie erwächst. – wegen unserer Flüsse und vielen Seen. Wie bereits gesagt sieht die Wasserversorgung von Ländern wie Spanien oder Italien heute bereits anders aus. Tragen wir also Sorge!
Hier einige weiterführende Informationen:
Hohe Phosphorbelastung – Zu viel Gülle im Zugersee – Kanton nimmt Bauern in die Pflicht: https://www.srf.ch/news/schweiz/hohe-phosphorbelastung-zu-viel-guelle-im-zugersee-kanton-nimmt-bauern-in-die-pflicht
Baldeggersee: Lotteriegelder gegen das Desaster mit der Gülle | WOZ Die Wochenzeitung: https://www.woz.ch/1615/baldeggersee/lotteriegelder-gegen-das-desaster-mit-der-guelle
Sauerstoff für Seen ist keine Langzeitlösung | NZZ: https://www.nzz.ch/sauerstoff-fuer-seen–erste-hilfe-aber-keine-langzeitloesung-ld.653187
BELÜFTUNG: Sempachersee: Gesundheit hängt von Bauern ab (luzernerzeitung.ch): https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/belueftung-sempachersee-gesundheit-haengt-von-bauern-ab-ld.13021
Gefahr für Schweizer Seen – «Blaualgen sind problematisch – auch fürs Trinkwasser» – Wissen – SRF: https://www.srf.ch/wissen/natur-tiere/gefahr-fuer-schweizer-seen-blaualgen-sind-problematisch-auch-fuers-trinkwasser
Zu viel Stickstoff und Phosphor: Schweizer Lebensräume sind stark belastet (scnat.ch): https://biodiversitaet.scnat.ch/publications/uuid/i/15e01d00-e147-50a4-8e1b-870663bcfbf1-Zu_viel_Stickstoff_und_Phosphor:_Schweizer_Lebensr%C3%A4ume_sind_stark_belastet